Von der grünen Insel aus gesehen ist der „Kontinent“, so wie Europa genannt wird, weit weg. Noch weiter weg scheint der Bundestagswahlkampf im Herzen des Kontinents. Der gefallene keltische Tiger reckt sich zwar wieder etwas, kämpft jedoch weiterhin gegen ein hohes Haushaltsdefizit und die Altlasten der Bankenkrise. Trotz kleiner, erfolgreicher Schritte der Emerald Isle in Richtung einer wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft im europäischen Raum – wie zuletzt durch die Aufwertung der Kreditwürdigkeit durch die Ratingagentur Standard & Poor`s verdeutlicht wurde – ist es noch ein langer und steiniger Weg. Irlands Wirtschaft ist vor ein paar Monaten wieder in die Rezession gerutscht.

Das deutsch-irische Verhältnis

Die Einstellung der Iren gegenüber der deutschen Politik hat sich seit der Banken- und Schuldenkrise verändert. Ein fast unmerklicher, aber nicht unerheblicher Vorgang nach einer langen Periode ausgezeichneter irisch-deutscher Beziehungen. Auf irischer Seite ist das Gefühl aufgekommen, dass Deutschland den Iren etwas schulde; irische Comedians nehmen neuerdings deutsche Politiker auf die Schippe.

Zuletzt wurde das deutsch-irische Verhältnis durch den Anglo Irish Bank-Vorfall, von dem sich die irische Politik stark distanziert hat, belastet. Angela Merkel persönlich hat sich zu Wort gemeldet und die Äußerungen der irischen Banker scharf verurteilt. Die irische Regierung fürchtete nachteilige Auswirkungen und richtete eine parlamentarische Untersuchungskommission ein.

 

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Kaum Medienecho zum deutschen Wahlkampf

Davon abgesehen hat die irische Öffentlichkeit den deutschen Wahlkampf jedoch kaum auf dem Schirm. Oberste Priorität hat nach wie vor der Umgang mit der Schuldenkrise. Außerdem machen drastisch gefallene Hauspreise und Kredite, die trotz allem abzubezahlen sind und von denen (fast) jeder Privathaushalt betroffen ist, den Iren zu schaffen. Die irische Presse hat in den vergangenen Wochen kaum über den Wahlkampf oder die Wahlprogramme der Parteien in Deutschland berichtet und greift auch nur vereinzelte Aspekte heraus. Ein Beispiel:  Wahlprognosen oder die Forderung der CDU in ihrem Wahlprogramm, Deutsch als offizielle Sprache für die EU festzulegen. Das Hauptaugenmerk der aktuellen Berichterstattung liegt auf Merkels Umgang mit der Ausspäh-Affäre. Die Oppositionsparteien und besonders Steinbrücks Perspektive werden zwar immer wieder vorgestellt, aber es fehlt an Analysen, was der deutsche Wahlkampf für die Iren bedeuten könnte.

Irische Politiker wissen um ihre Abhängigkeit von Deutschland

Einen offiziellen klaren Favoriten gibt es seitens der irischen Regierung nicht. Die irische Politik ist sich aber im Gegensatz zur breiten Öffentlichkeit der Bedeutung der Bundestagswahl für den Inselstaat im Atlantik sehr wohl bewusst. Mehr noch, die irische Regierung schaut genau hin – insbesondere mit Blick auf die Sicherstellung des Schuldenerlass’, der key issue der irischen Politik. Noch im Oktober 2012 hat Taoiseach Enda Kenny, der irische Premierminister, Angela Merkel die Aussage abgerungen, dass es sich beim irischen Schuldenerlass in der Tat um einen „speziellen“ Fall handele. Die irischen Politiker wissen um ihre Abhängigkeit von Deutschland.

Zurzeit bereitet sich Irland auf den Ausstieg aus dem Rettungsschirm vor und plant, sich wieder vollständig am globalen Kapitalmarkt zu refinanzieren. Für viele irische Entscheidungsträger sind die Bundestagswahlen eines der Probleme, die eine zügige Entscheidung, die zur Rekapitalisierung von Banken führt sowie eine Lösung in Bezug auf die sogenannten „Tracker“-Hypotheken bedeutet, hinauszögert. Noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, wie mit Banken umgegangen wird, die aus Bailout-Ländern wie Irland kommen. Ein Deal vor der Bundestagswahl scheint allerdings höchst unwahrscheinlich.

Was erwarten die Iren von der neuen deutschen Regierung?

Doch was erwartet Rialtas na hÉireann, das irische Kabinett, von der neuen deutschen Regierung? Die irische Regierung hegt laut gut informierter Quellen keine Erwartungen an das neue Kabinett, hofft jedoch darauf, dass sich mit der neuen Bundesregierung ein window of opportunity auftut, das zur Lösung der irischen Frage beiträgt. Einen Wunschkandidaten würde die irische Regierung allerdings nie öffentlich benennen. Denn in diesem Falle geht es nicht um die Persönlichkeiten in der deutschen Regierung, in anderen Worten Merkel oder Steinbrück, sondern um die Hoffnung auf ein besseres politisches Klima. Nur dieses schafft Raum für eine positive Entwicklung der Europäischen Agenda innerhalb der deutschen Regierung.

“The Light at the end of the tunnel is only the light of an oncoming train.”

Es bleibt abzuwarten, welchen Einfluss das deutsche Wahlergebnis auf den irischen Schuldenerlass und den Ausstieg aus dem Euro-Rettungsschirm Ende des Jahres hat. Und dass sich die deutschen Wahlergebnisse nicht als grelle Scheinwerfer einer unkontrollierbaren Zugmaschine erweisen, sondern als freundlich strahlender Leuchtturm.

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Solveig Mayer

Solveig Mayer

Solveig Mayer ist Senior Consultant bei FleishmanHillard Berlin und besitzt umfassende Expertise in den Bereichen Public Affairs / Government Relations, Krisenkommunikation, CSR / Sustainability und Unternehmenskommunikation. Bei der Beobachtung des Bundestagswahlkampfs 2013 auf wahl.de legt Solveig Mayer als international geprägter Mensch Wert auf eine globale und "nachhaltige" Perspektive.