So viel Europa war nie! Nur nicht bei der Bundestagswahl. Seit Beginn der Finanzmarkt- und in der Folge der Haushaltskrise europäischer Staaten stehen Euro und EU ganz oben auf der politischen und medialen Agenda. Entscheidet sich daran die Bundestagswahl? Wohl kaum.

Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte im Juni bei einer Rede vor dem CDU-Wirtschaftsrat die Bundestagswahl 2013 eine Richtungsentscheidung für Europa. Kontinuität und damit Sicherheit könne es nur mit ihr geben. Dieser Logik mag man nicht widersprechen, jeder andere Kanzler kann zwingend nicht als Kontinuität bezeichnet werden. Aber, traditionell sind die Unterschiede der Parteien in der Außen- und Europapolitik nicht groß.

Dafür, dass sich die Krise(n) mittlerweile im fünften Jahr befinden und wohl auch nicht so schnell abgeräumt werden, ist die europapolitische Auseinandersetzung im Wahlkampf immer noch erstaunlich schwach.

Insofern ist die von verschiedenen Seiten festgestellte Vertrauenskrise in die EU und in den Euro auch keine Vertrauenskrise von Bundeskanzlerin Merkel. Das muss nicht verwundern; das Vertrauen der Bevölkerung in die europäischen Institutionen war noch nie besonders ausgeprägt. So schlecht wie heute war es aber auch nicht.

Mit Ende des Kalten Krieges und schließlich der Einführung des Euros sind die großen europäischen Erzählungen über Krieg und Frieden zusammen mit ihren Erzählern in den Ruhestand getreten. In professionellen Politikkreisen ist Europapolitik längst Bestandteil der täglichen Arbeit. Europas Jugend lebt ein europäisches Leben wie keine Generation zuvor. EU-Austauschprogramme und billige Reisemöglichkeiten haben eine Mobilität und einen europäischen Erfahrungs- und Erlebnishorizont ermöglicht. Vergleichsweiße triviale und kleinteilige Themen und Probleme treten in den Vordergrund: Währungstausch, grenzüberschreitende Strafverfolgung bei Verkehrsdelikten, Standards in der Lebensmittelproduktion. Wahlkämpfe lassen sich damit kaum führen.

Merkels Vorgehen wird seit langem kritisiert. Nicht zuletzt Bundespräsident Joachim Gauck hat öffentlich mehr Transparenz und Erklärungsbereitschaft angemahnt. In diesem Kontext ist auch die Kritik von Manuel Müller in seinen Blog „Der (europäische) Föderalist“ zu verstehen, wenn er darüber nachdenkt, warum die CDU Europathemen lieber meide:

„Ganz in diesem Sinn bekundete kürzlich übrigens auch Jürgen Habermas, seit Jahren einer der prominentesten Verfechter überstaatlicher Demokratie (und damit anders als etwa die Mitglieder des „Berliner Kreises“ reichlich unverdächtig, die inhaltlichen Ziele der Europaskeptiker insgeheim zu teilen):  In der Bundesrepublik bestärkt eine unsäglich merkelfromme Medienlandschaft alle Beteiligten darin, das heiße Eisen der Europapolitik im Wahlkampf nicht anzufassen und Merkels clever-böses Spiel der Dethematisierung mitzuspielen.“

Offen bleibt allerdings, ob sich die Euro-, Haushalts- und Wirtschaftskrise für Visionen und große Erzählungen eignen. Eine gute Geschichte ist offensichtlich bisher niemanden eingefallen.

Auch wenn das Interesse der Bundesbürger an Europa gering ist und das Misstrauen gegenüber den EU-Institutionen zunimmt, so gilt dies nicht für die professionellen Politikkreise in Berlin. Laut einer aktuellen Umfrage zu „EU-Trends 2013“ von Euractiv.de und der Europäischen Bewegung Deutschland, sind für rund 75 Prozent der Befragten die europapolitischen Positionen der Parteien wahlentscheidend. Man kann dies zu Recht als eine elitäre Momentaufnahme bezeichnen, es belegt aber auch, wie fest Europa im politischen und wirtschaftlichen Alltag verankert ist.

Die Wünsche an die zukünftige Agenda spiegeln dann wohl eher die Themen der Bevölkerung wieder: 65% der Befragten (damit auf Platz 1) fordern „endlich“ eine Finanzmarktregulierung; Energiewende und Klimawandel folgen auf Platz 2 und 3.

Dies deckt sich mit Ergebnissen, die Adrian Rosenthal in diesem Blog vor einiger Zeit vorgestellt hatte. Die MSL Public Affairs Umfrage 2013 hatte ergeben, dass

„die Befragten die Prioritäten für die nächste Bundesregierung wie folgt sehen: Bewältigung der EURO-Krise (82 Prozent), Energiewende (70 Prozent), Steuerreform (39 Prozent).“

Die Europapolitik wird bei dieser Wahl wie immer keine Rolle spielen, sehr wohl sind Europa und der Euro wahlentscheidend. Einerseits bei der Zustimmung für das Handeln von Bundeskanzlerin Merkel und andererseits in der Ablehnung dieser Politik, die der CDU die entscheidenden Stimmen mit der Abwanderung zur AfD kosten kann.

Soviel Europa war noch nie bei Bundestagswahlen.

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Martin Becker

Martin Becker

Seit mehr als einem Jahrzehnt berät der Soziologe und Politikwissenschaftler Industrieunternehmen, Verbände und öffentliche Einrichtungen bei der Entwicklung von Unternehmens- und Kommunikationsstrategien. Schwerpunktthemen sind Nachhaltigkeit, Umwelt, Klima, Energie, Verteidigung und Sicherheit sowie Stadt- und Regionalentwicklung.
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