Vor knapp zwei Wochen atmete Deutschland hörbar auf – nach dem Schock des Brexits, der langwierige Verhandlungen nach sich ziehen wird, und Trumps Wahl zum Präsidenten, die weltweit große Unsicherheiten hervorrief, muss sich die Bundesregierung nun nicht noch mit einer Präsidentin Le Pen herumschlagen. Und, was noch viel wichtiger ist, sie kann ihre Sorgen um eine drohende Erosion der Eurozone vorerst beiseiteschieben.
Der Aufstieg eines Unbekannten
Emmanuel Macrons Wahl zum Präsidenten Frankreichs ist nicht nur ein Zeichen des Sieges eines liberalen, pro-europäischen Weltbilds über Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Interessanter ist viel mehr, wie es der 39-jährige ehemalige Banker, der noch nie ein gewähltes politisches Amt innehatte, binnen kürzester Zeit geschafft hat, Millionen Menschen zu mobilisieren, ihm ihre Stimme zu geben. Wie hat er das geschafft?
Macrons rasanter politischer Aufstieg ist unweigerlich verknüpft mit seiner speziell auf seine Bewegung En marche zugeschnittenen Wahlkampfstrategie – auf moderner Datenanalyse basierender Haustürwahlkampf. Die Methodik dahinter ist an sich simpel: Eine Software kombiniert vergangene Wahlergebnisse mit soziodemografischen Daten und berechnete so, in welchen Bezirken sich Haustürwahlkampf besonders lohnt. Eigens dafür heuerte er das Pariser Start-Up LMP an, dessen Gründer Guillaume Liegey sich von der Wahlkampagne Barack Obamas in den USA inspirieren ließ. Dort hat der Häuserwahlkampf, das sogenannte canvassing, eine lange Tradition, während er in Deutschland und Frankreich eher unüblich ist. Macrons Strategie der direkten Wähleransprache entlang einer algorithmisch errechneten Wahlkampf-Route erwies sich als voller Erfolg und verhalf dem bis vor einem Jahr noch relativ Unbekannten in kürzester Zeit zu einer beeindruckenden Anhängerschaft. Währenddessen expandiert LMP in weitere europäische Länder. Auch im deutschen Bundestagswahlkampf möchte das Start-Up mitmischen und plant sogar die Eröffnung eines Büros in Berlin.
Vorbild USA
Hierzulande wurde der klassische Haustürwahlkampf lange Zeit zumeist nur als notwendiges Übel und nicht sehr überzeugende Strategie angesehen. Das hat nicht zuletzt mit dem vergleichsweise hohen personellen und finanziellen Aufwand und der besonders im Vergleich zu den USA unterschiedlichen Mentalität zu tun: Hausbesuche gelten hier oft als aufdringlich und unerwünschtes Eindringen in die Privatsphäre. Dies änderte sich jedoch in den letzten Jahren. Bereits im Bundestagswahlkampf 2013 versuchte die SPD verstärkt auf Häuserwahlkampf zu setzen, um besonders Nichtwähler zur Stimmabgabe zu mobilisieren. Als damalige Kampagnenleiterin von Peer Steinbrück war Andrea Nahles im Vorfeld eigens in die USA gereist, um sich von den Demokraten Tipps für den Wahlkampf zu Hause zu holen.
Hemmschuh Datenschutz
Spätestens seit den jüngsten Erfolgs-Stories in den USA und Frankreich versuchen die deutschen Parteien darüber hinaus auf den Digitalisierungszug im Wahlkampf aufzuspringen. Die CDU, die in diesem Jahr auf intensiven Haustürwahlkampf setzt, startete einen regelrechten Online-Feldzug, für den eine eigene App „Connect 17“ entwickelt wurde. Die App gibt per GPS die Route für die Wahlkämpfer vor und führt sie zu im Vorfeld durch Wählerpotenzialanalysen festgelegten Häusern, wo die Aussicht auf Erfolg hoch ist. Im Saarland wurde die App erstmals für den Haustürwahlkampf eingesetzt, der Annegret Kramp-Karrenbauer letztlich wohl zu ihrem Sieg verhalf. Doch nicht nur die CDU setzt auf digitalen Wahlkampf. Auch die SPD entwickelte eine eigene Wahlkampf-App, die Wahlkämpfern helfen soll, Informationen über Wahlkreise zu systematisieren. Im Gegensatz zu den USA sind die Möglichkeiten hierzulande jedoch stark begrenzt durch bestehende Datenschutzrichtlinien, das Targeting und damit eine individualisierte Wähleransprache nahezu unmöglich machen. Auch in Frankreich gibt es ähnlich starke Datenschutzregeln, die bei persönlichen Daten, wie den politischen Präferenzen der Bürger, greifen. Demographische Daten sind jedoch frei verfügbar und bilden in Kombination mit aktuellen Umfragen oder offenen Fragen, die einer repräsentativen Anzahl von Menschen gestellt werden, das Fundament für einen erfolgreichen Häuserwahlkampf.
Die letzten Wahlen haben gezeigt: Die Macron-Methodik macht Schule, digitale Wahlkampfstrategien sind die Zukunft – gerade unter Einbeziehung des guten alten Klinkenputzens.
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