Seit vielen Jahren gehört das Abfragen von Wahlprüfsteinen zu einem gängigen Ritus vor Wahlen. Entschieden wurden diese dadurch bisher nicht. Doch mit dem Siegeszug von Social Media und der „Festivalisierung“ der Politik könnte neuer Wind in die Sache kommen.

Erprobtes Mittel seit den 50ern

Hinter dem sperrigen Begriff Wahlprüfstein verbirgt sich die Idee, dass eine Interessengruppe Parteien oder Kandidaten direkt nach Einstellungen befragt, die von hoher Relevanz für diese Gruppe sind. Auch Wahlprogramme werden nach Aussagen zu relevanten Politikfeldern durchforstet. Hieraus können dann Wahlempfehlungen für die Mitglieder erstellt werden. Da diese Empfehlungen auf tatsächlichen Aussagen gründen, sind sie weniger angreifbar als solche, die nur auf einer „gefühlten Nähe“ basieren. Bereits in den 50er Jahren nutzten Gewerkschaften dieses Mittel, um ihren Mitgliedern zumindest indirekt die SPD zu empfehlen.

Verständliche Fragen, klare Aussagen

Die Frage, was gute Wahlprüfsteine ausmacht wird von beiden Seiten gleich beantwortet. Fragen und Antworten sollten „auf den Punkt“ gebracht werden.

Indes, die Realität sieht oft anders aus. So bemängeln Mitarbeiter von Parteien und Abgeordneten, dass Fragebögen teilweise zu lang und wirr seien. Vor allem aber würden Anfragen unkoordiniert verschickt. Da bekämen Mitglieder des Bundestages Anfragen, die nicht in ihren Verantwortungsbereich fallen. Auch Fragen zu walkreisspezifischen Aspekten hindern eher, wenn der Parlamentarier einem völlig anderen Landesverband angehört. Lieber bearbeiten Mitarbeiter gut strukturierte Fragebögen. Angesichts von hunderten eingehenden Wahlprüfsteinen ist die Koordinierung und Beantwortung für die Parteien aber immer eine erhebliche Belastung in der (Vor-) Wahlkampfzeit.

Doch auch Interessenvertreter ärgern sich schon mal über Antworten von Parteien, die um den heißen Brei herum reden. Einige Antworten seien so inhaltsarm, dass man sich an Loriots Bundestagsrede erinnert fühle. Parteien täten also gut daran, Farbe zu bekennen. Zumal die überwiegende Einschätzung heute lautet, dass Antworten in Wahlprüfsteinen eher nicht wahlentscheidend seien. Dennoch wird auch in Parteizentralen differenziert, ob man gerade dem ADAC Auskunft gibt oder einer lokalen Bürgerinitiative. Schließlich hat die Meinung eines Verbandes mit mehreren Millionen Mitgliedern immer Gewicht.

Personalisierung immer wichtiger

Statt der Auseinandersetzung mit hochkomplexen Themen entscheiden viele Wähler heute ohnehin nach anderen Gesichtspunkten. Die Parteien nutzen dies und setzen in unserer schnelllebigen Zeit beispielsweise lieber auf Personalisierung. Die Kampagnen der CDU für Ole von Beust und Angela Merkel legen Zeugnis hiervon ab. Den Fehler, ihren Kandidaten auf ein TV-Duell nicht richtig vorzubereiten, macht heute keine Parteizentrale mehr.

Doch es sind nicht nur die Spitzenkandidaten, die unter Beobachtung stehen. Auch Abgeordnete aus der zweiten Reihe sind heute gezwungen, Flagge zu zeigen. Dank digitalen „Dauerwahlprüfsteinen“ wie dem Infoportal Abgeordnetenwatch und Social Media-Kanälen wie Twitter können Wähler ihre Kandidaten nach Meinungen fragen, ohne dass dies ein Verband zentralisiert übernehmen muss. Hier kommt es quasi zu einer Demokratisierung eines früher polit-elitären Prozesses.          

Event statt Fragebogen

Auch viele Verbände setzen mittlerweile auf moderne Mittel, mit denen man der Politik konkrete Aussagen entlocken möchte. So hat etwa der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) im Juni ein Wahlhearing veranstaltet. Brav tanzte dann auch die Parteielite (Kauder, Oppermann, Brüderle, Gysi, Trittin) an, um den Funktionären Rede und Antwort zu stehen. Schließlich möchte sich beim Thema Breitensport niemand die Blöße geben.

Diesen Weg geht auch das Unternehmen Zalando. In seiner Berliner Zentrale treten im August bei einem Townhall-Meeting fünf Bundestagskandidaten aus der Hauptstadt an. Zunächst sind alle Mitarbeiter aufgerufen, im Intranet Themenschwerpunkte auszuwählen und konkrete Fragen zu formulieren. Bei der Podiumsdiskussion werden die Fragen den entsprechenden Aussagen in den Wahlprogrammen gegenübergestellt. Dazu sollen die Kandidaten dann Stellung beziehen.

Eine tolle Chance also für die Politneulinge, sich einem größeren Publikum zu präsentieren. Vielleicht sogar die Möglichkeit entscheidende Stimmen im harten Kampf um ein Direktmandat zu sichern. Doch ein Zuckerschlecken wird auch diese Veranstaltung nicht: Die Diskussion wird auf Englisch geführt und am Ende stimmen die Mitarbeiter ab, wer am meisten überzeugt hat. Willkommen im Politikbetrieb des 21. Jahrhunderts!

Für das Unternehmen geht es hier allerdings weniger darum, Wahlempfehlungen auszusprechen, die Unternehmensinteressen dienen. „Wir möchten zunächst einmal die Auseinandersetzung mit politischen Fragen innerhalb der Belegschaft fördern“, so Matthias Ernst, Manager Political Communications bei Zalando. „Außerdem erhalten unsere Mitarbeiter aus Deutschland und mehr als 30 anderen Nationen so die Möglichkeit, Fragen und Wünsche direkt an die Kandidaten aus ihren Bezirken zu richten.“ 

Politisches Gespür ist weiterhin gefragt

Die Anforderungen an Politiker ändern sich heute also. Langfristig werden diese nicht umhin kommen, sich diesen zu stellen. Doch einige Konstanten bleiben: Jeder Kandidat sollte über das Gespür verfügen, zu wissen wann er Klartext reden muss oder wann eine diplomatische Antwort die bessere Wahl ist. Das gilt für den klassischen Wahlprüfstein genauso wie für inszenierte Events.

Auch eine andere Konstante scheint zumindest aktuell weiterhin zu gelten: Wahlprüfsteine haben noch Niemanden die Wahl gekostet. Daran haben auch Abgeordnetenwatch und Wahlhearings bisher kaum etwas geändert. Doch dass die Netzgemeinde zukünftig ein größerer Einflussfaktor werden kann steht außer Frage. Nicht zuletzt die Plagiatsjäger haben dies eindrucksvoll bewiesen. Weitere Herausforderungen lauern für Abgeordnete und Minister ohnehin noch an anderer Front. Es ist der politische Gegner, der dank seiner Stellung die Kunst der Skandalisierung ausspielen kann. Gleiches gilt für die Medien, die schon so manche Politikkarriere beflügelt oder begraben haben.

 

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Florian Schalke

Florian Schalke

Florian Schalke ist Senior Consultant bei FleishmanHillard in Berlin. Seine Schwerpunkte sind die Beratungsfelder Public Affairs & Government Relations, Corporate Affairs und Digital & Social Media.
Seit über 7 Jahren berät er Unternehmen, Verbände und NGOs aus den Bereichen Energie-, Agrar- und Lebensmittelwirtschaft sowie Umweltschutz.