Wenn Sie glauben, dass Sie sich bewusst für das Lesen dieses Beitrags entschieden haben, täuschen Sie sich! Mit hoher Wahrscheinlichkeit haben Sie nicht überlegt abgewogen, sondern Ihr Unterbewusstsein hat die Entscheidung für Sie getroffen. Achtung: Ähnliches könnte Ihnen auch beim nächsten Wahlgang passieren.

Unterbewusste Entscheidungen treffen wir rund um die Uhr zu zahlreichen Gelegenheiten. Über Millionen von Jahren hat die Evolution diesen Prozess in Tier und Mensch optimiert. Die Vorteile dieses Verhaltens liegen auf der Hand: schnelles Handeln sichert das Überleben. Zudem kostet das Treffen bewusster Entscheidungen nicht nur Zeit sondern auch wertvolle Energie. Und so geht auch der moderne Mensch weiter impulsgelenkt durchs Leben. Nur eben nicht mehr auf der Flucht vor Raubtieren, sondern unter Zeitdruck durch Supermarktregale.  

Ohne Streuverluste direkt zur Zielgruppe, ohne Umwege direkt ins Unterbewusstsein

Diese Mechanismen sind seit Langem bekannt. Und schon lange werden sie von Kaufleuten und Werbern angewandt – früher unbewusst und anhand von Erfahrungswerten, heute bewusst und wissenschaftlich unterfüttert. Neuromarketing heißt die junge Disziplin, die auf Erkenntnisse neurowissenschaftlicher Untersuchungen und Methoden zu Marketingzwecken zurückgreift. Neben Big Data gilt Neuromarketing unter Kommunikatoren als die große Verheißung: Ohne Streuverluste direkt zur Zielgruppe, ohne Umwege direkt ins Unterbewusstsein. Auch in politische Kampagnen hat sich dieser Trend bereits eingeschlichen. Eher unbewusst sozusagen. Zumindest ohne Kenntnis der Öffentlichkeit.   

 

CC BY Benoit Rochon

Entscheidungsfindung leicht gemacht

Um zu verstehen wie Neuromarketing funktioniert, müssen wir zunächst noch einen kurzen Blick in einige Teile unseres Gehirns werfen, die für die Entscheidungsfindung eine Rolle spielen. Das folgende Modell ist grob vereinfachend, verdeutlicht jedoch wie Entscheidungen getroffen werden.

Das limbische System ist eine Funktionseinheit des Gehirns, die der Verarbeitung von Emotionen und der Entstehung von Triebverhalten dient. Dieser Teil ist also wichtig, wenn es um Fragen des „hier und jetzt“ und um die Befriedigung kurzfristiger Ziele geht. Im Übrigen müssen wir uns das limbische System wie einen Hochleistungsprozessor vorstellen – es arbeitet schneller als wir nachvollziehen  können.

Demgegenüber steht der präfrontale Cortex. Dieser ist eher für Entscheidungen zu langfristigen Zielsetzungen und für exekutives Handeln verantwortlich. Für diese wohlüberlegten Entscheidungen braucht er allerdings auch länger als das limbische System.

Damit stehen beide Systeme im dauerhaften Konflikt. Meist ist hier das limbische System im Vorteil, denn es arbeitet einfach schneller. Das erklärt, warum wir im Supermarkt – trotz besseren Wissens – immer wieder zu den kleinen Sünden oder bestimmten Marken greifen. Denn Konsumenten kaufen bestimmte Marken, weil diese es schaffen, im Gehirn ähnliche Reize wie Hunger und Begierde auszulösen. Also gilt es gezielt jene Worte und Bilder zu finden, die in einer Zielgruppe die entsprechenden Hirnregionen anregen.

Mit Neuromarketing kann die unterbewusste Entscheidungsfindung jetzt aber noch optimiert werden. Dank Zusammenarbeit mit Neurologen, der Nutzung der funktionellen Magnetresonanztomografie, Eye-Tracking und optimierten Fokusgruppen-Tests können Rückschlüsse gezogen werden, wie einzelne Zielgruppen auf bestimmte Reize reagieren. Botschaften, Klangmuster, Düfte, Videos, insbesondere aber auch bildliche Motive wie Anzeigen oder Plakate können so optimiert werden. Der unterbewussten Entscheidung wird so relativ unverblümt zu einem deutlichen K.O.-Sieg gegenüber der reflektierten Entscheidung verholfen.          

Einzug in politische Kampagnen

In Werbung und Marketing hat diese Disziplin längst Einzug gehalten. Doch wie steht es um politische Kampagnen? Sind diese überhaupt geeignet, um sie durch Neuromarketing zu optimieren? Das sind sie. Anzeigen, Bannerwerbung, Großplakate und Werbespots: Alle diese Kommunikationsmedien können zielgruppenspezifisch verbessert und adaptiert werden. Vorreiter sind die USA, seit 2008 werden Kampagnen dort zunehmend durch Neuromarketing optimiert. Insbesondere in äußerst emotionalen Videos werden dort die amerikanische Geschichte beschworen oder Ängste vor einer von China dominierten Zukunft geschürt. Doch auch in Asien und Südamerika spielt Neuromarketing im Rahmen von politischen Kampagnen bereits eine Rolle. So sollen beispielsweise bei den Parlamentswahlen in Brasilien erste Kampagnen derart optimiert worden sein.  

Erste Erkenntnisse zeigen, dass eher die Stammwählerschaft und Wechselwähler aktiviert werden, als dass überzeugte Gegner zu einem Parteiwechsel bewegt werden können. Dies deckt sich mit Erkenntnissen früherer Studien, die gezeigt haben, dass Parteien- und Kandidatenbindung stark emotional und wenig rational geprägt ist. Sicherlich auch einer der Gründe, warum Negative Campaigning und Skandalisierungsversuche in Wahlkämpfen zum Standardrepertoire gehören.

Realität auch in Deutschland?

Ob Neuromarketing auch in Deutschland im Rahmen von politischen Kampagnen bereits genutzt wird, lässt sich nicht sicher sagen. Zu fließend sind die Grenzen zwischen einer optimierten traditionellen Kampagnenführung und Neuromarketing. Plakate und Wahlspots wurden mit jeder Wahl überabeitet und optimiert bzw. an Fokusgruppen getestet. Auch die zunehmend emotionalere Ausrichtung von Kommunikationsmitteln ist ein seit längerem anhaltender Trend. Werbe-Experte Stephan Rebbe attestierte der CDU sogar schon einen „Thai-Chi-Wahlkampf“: Den Gegner durch inhaltsleere aber positive Motive einfach ins Leere laufen lassen. Bei genauerer Beobachtung handelt es sich hierbei eher um langanhaltende Trends und keine Revolution der Kampagnenführung.

Auch aufgrund einer gewissen Verschwiegenheit unter den Kampagnenexperten in Wahlkampfzentralen und Agenturen ist es schwer, valide Aussagen zu treffen. Zu vage ist auch Ihnen der Begriff und vielleicht auch zu umstritten. Zudem: Kaum jemand wird sein gesammeltes Expertenwissen freimütig teilen und dem  Gegner auf einem silbernen Tablett servieren.   

Das Ende der Debatte: ein ethisches Dilemma?

Dass im Rahmen von politischen Kampagnen zukünftig stärker mit der Nutzung von Neuromarketing experimentiert wird, scheint außer Frage zu stehen. Doch wie ist dies zu bewerten? Befürworter sehen goldene Zeiten heranbrechen und freuen sich darauf, das unbekannte Wesen „Wähler“ endlich zu verstehen. Zielgruppengerecht könne man diesen zukünftig ansprechen, politische Inhalte entsprechend einfacher vermitteln, so die Verheißung.

Kritiker hingegen sehen eine weitere Entmündigung des Wählers. Völlig abwegig ist diese Argumentation nicht, basiert Neuromarketing ja eben auf der Umgehung bewusster Willensbildungsprozesse. Zudem werden Wähler hier einer Kommunikationsdisziplin ausgesetzt, die viele von Ihnen nicht kennen oder genau verstehen, erst Recht nicht erkennen wann Sie angewandt wird. Sicherlich nicht die besten Voraussetzungen, um den Vertrauensverlust in die Politik wiederherzustellen.

Da die Kritiker relevante Punkte aufzeigen, stellt sich umso dringender die Frage welche Konsequenzen sich hieraus ergeben sollten. Eine Einschränkung politischer Kampagnenführung wäre nicht nur völlig impraktikabel, sondern aus demokratietheoretischer Sicht äußert bedenklich.

Realistischer scheint es, sich dem Thema Neuromarketing praktikabel zu nähern. Hierzu könnten Forschungsarbeiten von Kommunikations- und Politikwissenschaftlern zählen, genauso wie ein offenerer Umgang seitens der Kampagnenführenden mit dem Thema. Auch ein Code of Conduct stellt eine Möglichkeit dar. Nicht zuletzt ist auch die Politik gefragt, die gerade in Wahlkämpfen verstärkt auf Inhalte setzen sollte statt nur Motive sprechen zu lassen. Insbesondere muss aber auch die Politik-, Digital- und Medien-Kompetenz jüngerer Menschen gestärkt werden, die sich zukünftig neuen Spielarten der Kampagnenführung ausgesetzt sehen. Nicht nur, aber eben auch aufgrund von Neuromarketing, das ein Baustein von vielen in der Beeinflussung unseres Verhaltens sein wird.            

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Florian Schalke

Florian Schalke

Florian Schalke ist Senior Consultant bei FleishmanHillard in Berlin. Seine Schwerpunkte sind die Beratungsfelder Public Affairs & Government Relations, Corporate Affairs und Digital & Social Media.
Seit über 7 Jahren berät er Unternehmen, Verbände und NGOs aus den Bereichen Energie-, Agrar- und Lebensmittelwirtschaft sowie Umweltschutz.