Nach den Wutbürgern und Stuttgart 21 haben sich die Parteien nun die Bürgerbeteiligung groß auf die Fahnen geschrieben. Und der kurzzeitige Erfolg der Piraten hat sie wohl irgendwie auch dazu bewegt, die Bürger online nach ihren Vorstellung zu fragen. Sie bieten die Möglichkeit, sich auf unterschiedliche Weise bei der Gestaltung ihrer Wahlprogramme einzubringen. Wir haben uns mal angeschaut, wie sie das so machen und ob und wie sie ihre Programmarbeit in die sozialen Netzwerke übertragen.

Zuerst haben wir uns aber überlegt, wie wir uns solche Beteiligungsangebote vorstellen. Denn wenn diese Aktionen nicht nur Alibi-Veranstaltungen sein sollen, gibt es ein paar Sachen zu beachten. Also träumen wir mal von: Onlineplattformen, Facebook Apps, Share- und Like-Buttoms, Twitterinterviews, Chats, mobile Angebote, Onlinevotings, YouTube Channels, Werbung, … So wir haben geträumt und jetzt schauen wir mal, wie es die Parteien umgesetzt haben.

CDU – “Was mir am Herzen liegt”

Die CDU Mitmach-Aktion zum Wahlprogramm ruft unter dem Slogan “Was mir am Herzen liegt” dazu auf, einen Beitrag zum Wahlprogramm zu leisten. Dies kann man über die Website oder über Postkarten machen. Das Konrad-Adenauer-Haus hat eine Million Postkarten-Sets herausgegeben – eine stolze Anzahl, oder? Das Mitmach-Tool erntete jedoch bereits den Vorwurf, nur einen Alibi-Aktion zu sein, da der Prozess intransparent ist. Auch Datenschützer wittern eine Werbefalle.  

Kleine Tücken weist auch die Facebook App auf. Wenn man hier auf den Link zur Erstellung seines Beitrages klickt, landet man auf einmal auf der Wahlprogramm-Website und wird von Facebook weggeleitet. Davon mal abgesehen, was machen soziale Netzwerke nochmal aus? Man teilt mit seinen Freunden seine Aktionen und dies fehlt bei der CDU komplett! Die CDU schreibt stattdessen: “Vielen Dank für Ihre Idee! Wir werden Ihre Anregung auswerten und in die Erarbeitung unseres Regierungsprogramms einfließen lassen.”

Fazit: Ansatz gut, Prozess undurchsichtig, Umsetzung und Übertragung in die Netzwerke verbesserungsfähig

SPD – “Was muss in Deutschland besser werden?”

Die SPD hat bereits 2012 in einer augenscheinlich breit angelegten Kampagne nach Vorschlägen für ihr Wahlprogramm bei den Bürgern angefragt. Das Resultat: 40.000 Vorschläge zur Frage “Was muss in Deutschland besser werden?”

Die YouTube Playlist bekam bisher um die 13.000 Aufrufe. Da sagen wir: Nicht schlecht! Der Bürgerdialog wurde ebenfalls in eine Facebook App eingebunden. Im Gegensatz zur CDU gibt es aber einen Permissiondialog und die Beiträge sind im Netzwerk teilbar.

Der Chat zu den Wahlprogrammthemen ist ganz gut gelungen, wie wir finden. Dieser war mit Facebook, Twitter über #SPDialog und der SPD Website verbunden und die Spitzenpolitiker der SPD stellten sich den Fragen der Bürger.

Man muss sagen, die SPD hat hier wirklich ihren personelle und finanziellen Vorteil gegenüber den anderen Parteien ausgespielt und hat den Wahlprogrammdialog gut über die sozialen Netzwerke begleitet. Hier fehlte nur eins, um wirklich transparent und partizipativ zu sein: Eine echte Beteiligungs-Software, wie bei den Piraten oder Linken.

Fazit: guter netzübergreifender Ansatz mit vielen viralen Komponenten, ABER: das Design (vor allem die Typo) finden wir irgendwie steinzeitmäßig

Bündnis 90/Die Grünen – Zeit für den grünen Wandel

Die Grünen haben ihren Wahlprogrammdialog anders angelegt. Sie haben erst ihren Entwurf “Zeit für den grünen Wandel” vorgestellt und dann die Mitglieder dazu aufgerufen Änderungsanträge zu schreiben. Und das können die Grünen – über 2.600 Stück sind es geworden!

Alle Interessierten hatten bei den Grünen die Chance, Fragen zum Wahlprogramm zu stellen. Die beliebtesten 15 Fragen mit den meisten Stimmen wurden dann in einem Livestream an die grünen Spitzenkandidaten und Parteivorsitzenden gestellt. Leider fehlt hier die Einbindung in die sozialen Netzwerke. Eine gute Idee wäre gewesen, die Fragen über einen Teilen-Button zu Facebook oder Twitter zu übertragen, genauso wie das Voting. Die Grünen riefen lediglich dazu auf, über #Basislager auf Twitter die Fragestunde zu kommentieren.

Ein großes Manko hatte die ganze Geschichte: Nichtmitglieder hatten überhaupt keine Möglichkeit der Einflussnahme auf das Grüne Wahlprogramm. Es könnte natürlich sein, dass es sich hierbei um eine Maßnahme der Neumitgliederwerbung handelt, die die Grünen in letzter Zeit offensiv betreiben. Sie haben hierfür sogar die mobile Plattform Grüne+1 eingerichtet. Wer noch bis zum 5. Mai Mitglied wird, hat die Chance, am Grünen Mitgliederentscheid teilzunehmen.

Beim Mitgliederentscheid werden die neun Schlüsselprojekte bestimmt, die die Grünen im Falle einer Regierungsbeteiligung als erstes anpacken wollen. Auf einer Plattform sollen die Themen diskutiert und bewertet werden.

Ob die Grünen merken, dass diese Kampagne irgendwie ganz schön exklusiv ist und sie damit die grünen Sympathisanten von einer Beteiligung ausschließen, sei mal dahin gestellt.   

Fazit: statt auf vermeintliche Bürgerbeteiligung setzen die Grünen bei der Programmdiskussion auf Mitgliederbeteiligung und -werbung und bringen dies auch in die sozialen Netzwerken

FDP – Bürgerprogramm 2013

Die FDP hat einen Programmentwurf auf ihrer Plattform www.meine-freiheit.de zur Diskussion gestellt. Auf dieser Seite musste man sich ähnlich wie bei der CDU vorher anmelden – inkl. Werbefalle! Man konnte hier Änderungswünsche zu einzelnen Passagen abgeben, diese bewerten und kommentieren. Je mehr positive Bewertungen zu einem Beitrag abgeben wurden, um so größer sollte die Chance sein, dass die Programmkommission sie berücksichtigt. Eine direkte Verknüpfung mit den sozialen Netzwerken gab es nicht. Man konnte nur das Dialogportal an sich teilen.

Ein paar Änderungswünsche wurden bei Facebook zur Diskussion gestellt.

Die Technik hinter der Programmdiskussion ist grundsätzlich keine schlechte. Sie bedurfte allerdings auch einiger Erläuterungen in Form von YouTube Tutorials, die in sehr schlechter Auflösung die Mechanik erklärten. Das hätte man wirklich besser machen können!

Fazit: Beteiligung nicht in Form von abstrakten Wünschen, sondern direkt am Dokument, aber keine ausreichende Einbindung der sozialen Netzwerke

Die Linke – 100% sozial

Bereits im Juni 2012 startete die Linke mit einem Debattenblog für ihr Bundestagswahlprogramm. Ihre elektronische Programmdiskussion führen die Linken über die Beteiligungs-Software Adhoracy. Uns gefällt die technische Lösung, mit der die Linke Interessierte und Parteimitglieder an ihrem Prozess beteiligte. Man hatte hier zum Beispiel die Möglichkeit, in Gruppen am Entwurf des Programms zu arbeiten.

Jeder Beitrag kann über Facebook, Twitter und Google+ empfohlen werden. Auch das suchte man bei den anderen Parteien vergeblich. Nur das Design der Plattform ist irgendwie sehr schlicht.

Fazit: gute Beteiligungs-Software, aber mehr redaktionelle Begleitung über die sozialen Netzwerke notwendig

Piratenpartei

Wenig Innovation findet man ausgerechnet bei den Piraten. Vergeblich haben wir uns auf die Suche nach einfachen Beteiligungsmöglichkeiten für Interessierte gemacht. Dies haben wir gefunden: Die Piratenpartei hat die ersten Beschlüsse für ihr Bundestagswahlprogramm auf ihrem Bundesparteitag in Bochum 2012 getroffen. Eine direkte Mitarbeit am Wahlprogramm ist den Mitgliedern vorbehalten. Sie müssen hierfür Änderunganträge für den nächsten Bundesparteitag stellen. Die Piraten nutzen hierfür Liquid Feedback. In den sozialen Netzwerken wird die Programmdiskussion der netzaffinen Partei nicht begleitet. Hier hätte man mehr erwartet!

CSU

Die CSU ist anscheinend noch nicht aus ihrem bayerischen Winterschlaf erwacht oder ist sich einfach zu siegessicher. Man sucht bisher vergeblich nach Beteiligungsangeboten für ihr gemeinsames Regierungsprogramm mit der CDU.

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Sebastian Schmidtsdorf

Sebastian Schmidtsdorf

Head of PR bei Civey
Bei wahl.de seit 2013. Mitherausgeber wahl.de-Buch #BTW13 Themen, Tools und Wahlkampf. Leiter Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit bei Civey. Leidenschaftliche "fragerei by dorfgeschrei".
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