Copyright: ARD, ZDF; Collage von Lisa Nickel, compuccino  

Das Interesse an Polit-Talkshows ist nach wie vor ungebrochen. Das zeigen die Debatten um Gäste und Themen am Tag nach der Ausstrahlung in der Medienlandschaft aber auch die Live-Kritiken der Zuschauer via Social TV oder Second Screen. Dabei nehmen die Show- und Inszenierungseffekte in Polit-Talkshows drastisch zu. Die klassische Talkrunde wird zunehmend ergänzt durch multimediale Elemente wie Einspieler oder den Einbezug neuer Medien sowie durch Zuschauerbeteiligungen. Scheinbar nebensächliche Aspekte wie Kameraführung, Bildschnitt, Einstellungsgrößen oder musikalische Untermalungen werden mit Bedeutung aufgeladen und erlangen kommunikative Funktion. Diese von den Gästen kaum beeinflussbaren Faktoren erzeugen Images, steuern Einstellungen und Bewertungen auf Zuschauerseite. So bestimmen Polit-Talkshows und ihre Macher maßgeblich die politische Agenda – und damit auch Wahlergebnisse.

Da es Plenardebatten nicht mehr ins Hauptprogramm der Fernsehsender schaffen, wurden Polit-Talkshows bereits von manchem Politiker wie zum Beispiel Friedrich Merz als "Ersatzparlament" bezeichnet. Sie sind der Ort, wo politische Inhalte fersehtauglich als "Politainment" an das Publikum verkauft werden. Dabei hat sich das Format aufgrund des Einflusses neuer Medien und Kommunikationsformen in den letzten Jahren gewandelt. Die Konkurrenz zwischen aber auch innerhalb der Sender ist größer geworden – die Anzahl der Polit-Talkshows auch. Dies führt zu der oft wiederholten Kritik an der Einseitigkeit von Themen und Gästen. Andererseits bieten die neuen Kommunikationsformen Partizipationsmöglichkeiten für die Zuschauer. Durch das Web 2.0 haben sie zunehmend die Möglichkeit, in die Rolle eines Producers oder Medienkritikers zu schlüpfen und aktiv zur Inszenierung und Konstruktion der Sendung beizutragen, indem sie "user generated content" zur Verfügung stellen, der in den Sendungen aufgegriffen wird.  

Diese Aspekte stehen im Mittelpunkt des Buches

Polit-Talkshow: Interdisziplinäre Perspektiven auf ein multimodales Format

, das von den Sprachwissenschaftlern Heiko Girnth und Sascha Michel jetzt herausgegeben wird. In zwölf Beiträgen widmen sich renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fachdisziplinen der komplexen Frage, was Kommunikation in Polit-Talkshows ausmacht und wie sie zur Realisierung bestimmter Zwecke bewusst eingesetzt wird. Die Leser sollen dafür sensibilisiert werden, dass ihr Bild von Politik und Politikern in Polit-Talkshows nicht nur von den Rahmenbedingungen, dem Gesagten und dem Auftreten der Teilnehmer abhängt, sondern sehr stark durch redaktionelle Prozesse (z. B. Selektion durch Kameraführung, -schnitte, -größen etc.) geprägt wird. Somit muss eine medienkritische Betrachtung von Polit-Talkshows auch Inszenierungsmechanismen in den Blick nehmen.

Die Beiträge reichen von der Suche nach Gemeinsamkeiten zwischen Politik- und Sportberichterstattung und der damit einhergehenden Gefahr der "Talkshowisierung", also der Vermischung von Information und Unterhaltung – Öffentlichem und Privatem, über den Auschluss von Verständigung im Rahmen von Polit-Talkshows, da Politik hier als eine Folge von nicht aufhebbarer Interessengegensätze inzeniert werde, bis zur Betrachtung von Schweizer Sendeformaten, dem Framing in politischen Fersehdiskussionen oder aber der Analyse von verbaler und nonverbaler Kommunikation in TV-Duellen.  

Der Herausgeber Sascha Michel widmete sich in seinem Beitrag der fernsehbegleitenden Kommunikation in sozialen Netzwerken. Er hat sich hier im Blog bereits in einem Interview mit "Twitter, dem Schweizer Taschenmesser für Politiker" auseinandergesetzt. 

 

Die Beiträger:

Christoph Bertling, Ellen Fricke, Heiko Girnth, Emo Gotsbachner, Ernest W. B. Hess-Lüttich, Werner Holly, Angela Keppler, Josef Klein, Michael Klemm, Friedrich Krotz, Gerda Lauerbach, Marcus Maurer,  Sascha Michel, Jörg-Uwe Nieland, Carsten Reinemann 

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Sebastian Schmidtsdorf

Sebastian Schmidtsdorf

Head of PR bei Civey
Bei wahl.de seit 2013. Mitherausgeber wahl.de-Buch #BTW13 Themen, Tools und Wahlkampf. Leiter Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit bei Civey. Leidenschaftliche "fragerei by dorfgeschrei".
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