Europawahlen sind die Sternstunde der Europäischen Parteien. Sie sind es, die innerhalb der EU die nationalen Parteien ihrer jeweiligen politischen Richtung zu einer “Parteienfamilie” vereinen. Als Familienoberhaupt koordinieren sie die gemeinsame Anstrengungen im Europawahlkampf. Gemeinsame, pan-europäische Wahlkämpfe nationaler Parteien waren bisher allerdings die Ausnahme. Europawahlen sind immer noch die Summe von 28 nationalen Wahlen mit nationalen Kandidatenlisten, Parteien und meist auch eher nationalen als europäischen Wahlkampfthemen.

Dementsprechend führten die nationalen, nicht die europäischen Parteien, Regie im Wahlkampf. Eine Neuheit bei dieser Europawahl stärkt jedoch die Rolle der Europaparteien: Durch den Vertrag von Lissabon wurde die Rolle des Europäischen Parlaments (EP) bei der Bestimmung des nächsten Kommissionspräsidenten gestärkt. Da die Parteien Spitzenkandidatinnen und -kandidaten für dieses Amt aufgestellt haben, erleben wir nun zum ersten Mal so etwas wie personaliserte EU-weite Kampagnen (Christdemokraten: #WithJuncker, Sozialdemokraten: #NowSchulz, Liberale: #Guy4Europe, Grüne: #Ska4Europe und #Jose4Europe, Linke: #Tsipras).

Die Europäische Grüne Partei (EGP) fährt in diesem Jahr zum dritten Mal eine “gemeinsame Kampagne” – der Europäisierungsgrad war jedoch noch nie so hoch wie bei dieser Wahl. Im Februar wurden in Brüssel die Poster der Kampagne vorgestellt. Anschließend haben elf nationale Grüne Parteien die Plakate, deren Motive “Testimonials” grün denkender Menschen mit einem emotionalen Bekenntnis zu Europa (“I’m Europe”) abbilden, für ihre nationalen Wahlkämpfe übernommen.  In über zwei Drittel der EU-Länder reisen derzeit die beiden Spitzenkandidaten, Ska Keller und José Bové, um die EGP-Mitgliedsparteien zu unterstützen.  

Während wohl die wenigsten WählerInnen durch ganz Europa touren, um zu überprüfen ob alle grünen Parteien die gleichen Plakatmotive hängen, findet die paneuropäische Kampagne ihren stärksten Ausdruck in Social Media. Durch die Abwesenheit von europäischen (klassischen) Medien, bietet das Internet eine grenzenüberschreitende Bühne, die es einer Parteienfamilie ermöglicht ein europaweites Publikum anzusprechen, gezielte Botschaften an bestimmte nationale Zielgruppe zu richten (z.B. in Ländern, wo grüne Parteien die Chance auf einen ersten Europaabgeordneten haben) und die europäische Dimension der Kampagne sichtbar zu machen.

Mittels einer multilingualen Facebook-App können grüne UnterstützerInnen ihr eigenes Bild im Stile der Plakatmotive mit eigenem Foto und eigenem Statement erstellen. Das Zwischenresultat ist eine Ansammlung von über 2,500 Bildern, erstellt von Usern aus ganz Europa, die ihre persönliche Vorstellung von einem besseren Europa ausdrücken, gepaart mit dem Bekenntnis zu Europa und ihrer nationalen/regionalen Herkunft. Das Mitmach-Tool, das auf persönliche Statements und die Dualität von nationaler/regionaler und europäischer Identität setzt, ist der Versuch, eine pro-europäische Emotion in diesem Wahlkampf zu erzeugen, in dem das Emotionenmanagement allzuoft von rechtspopulistischen Parteien bestimmt wird.

Ein anderes Beispiel ist eine Serie von Youtube-Videos, die am vergangenen Wochenende, an dem Europatag (9 Mai) und Eurovision Song Contest (10 Mai) zusammen trafen, veröffentlicht wurden. Grüne EP-KandidatInnen stehen in diesen Clips in verschiedenen Städten Europas und vergeben ihre “12 Punkte” an eine Grünes Europa. Darüberhinaus komplettieren regelmäßige Elemente wie etwa ein Video-Blog von Ska Keller und José Bové und Memes, die Online-Strategie.

Letztlich findet die europaweite Kampagne aber nicht nur online statt. Auch bei transnationalen Wahlkampfveranstaltungen demonstrieren grüne Parteien, dass sie europäische Themen in einem europäischen Rahmen behandeln. So findet am kommenden Sonntag gemeinsame, parallele Veranstaltungen von Grünen aus den Ostseeanrainerstaaten Finnland, Schweden, Deutschland, Litauen und Lettland zum Schutz des Meeres statt. Auch der Kampagnenauftakt wurde am 4. Mai mit den Spitzenkandidaten aus diversen Ländern gemeinsam in Berlin veranstaltet.

Die Europäisierung von Europawahlen – so paradox das klingen mag – ist ein fortschreitender Prozess. Transnationale Wahlkampagnen der Europäischen Parteien samt EU-weiten Spitzenkandidaten leisten einen Beitrag, um dies auch für die Öffentlichkeit spürbar zu machen. Online Campaigning, insbesondere in partizipativer Form, wird hierbei auch in Zukunft eine Schlüsselrolle spielen. 

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Johannes Hillje
Johannes Hillje arbeitet als Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel. Er berät Politiker, Parteien, Institutionen, Verbände und Firmen. 2014 leitete er den Europawahlkampf der Europäischen Grünen Partei. Davor arbeitete er für die UN in New York und beim ZDF in Mainz.
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