In Deutschland haben wir eine kuriose Situation: Selten waren die Möglichkeiten zur demokratischen Mitbestimmung so ausgeprägt wie hier und heute. Und selten war das Desinteresse der Menschen an diesen Möglichkeiten ähnlich groß. Die Parteien verlieren Mitglieder, die Wahlbeteiligung sinkt, nur ein Bruchteil der Deutschen gibt an, ihren Politikern zu vertrauen, kurz: Politikverdrossenheit wohin man schaut.
Dieses Schlagwort und die Einstellung dahinter gefallen mir zwar nicht, da sie mir für eine allzu bequeme Rückzugsposition und eine simple Polarisierung zu stehen scheinen („Wir hier“ sind verdrossen, weil „die da“ nicht ordentlich Politik machen). Dennoch müssen Politiker diese Stimmung zur Kenntnis nehmen. Und nicht nur das, sie täten gut daran, gegen diese Stimmung zu arbeiten und langfristig aus Politikverdrossenen wieder Politikbegeisterte oder wenigstens Politikinteressierte zu machen.
Wie lässt sich dieses Interesse herstellen? Unter anderem durch Nähe zum Bürger, durch die Bereitschaft zuzuhören und sich auszutauschen, durch offenen, ehrlichen Dialog und durch Authentizität jenseits inszenierter Fernsehbilder – denn auch „die da“ sind wie „wir hier“: nur Menschen.
Authentizität, Offenheit und Dialog – all das ist am besten von Angesicht zu Angesicht vermittelbar und erlebbar. Und am zweitbesten mit Hilfe von sozialen Medien. Dafür zwei Beispiele, die mir in jüngster Zeit aufgefallen sind:
Beispiel Kommunalwahlkampf:
In meiner 100.000-Einwohner-Heimatstadt Erlangen in Nordbayern hat der 34-jährige Herausforderer Florian Janik eine kleine Sensation geschafft: Er hat die Stichwahl gegen den amtierenden Oberbürgermeister Siegfried Balleis, der seit 18 Jahren im Amt war, klar gewonnen. Dafür gibt es viele Gründe, einer davon ist meiner Meinung nach, dass Florian Janik auch konsequent und professionell auf Social Media gesetzt hat.
Im Gegensatz zu Balleis, der auf Facebook nicht existent ist, hat Janik diese Plattform intensiv genutzt und so seine Bekanntheit bei jüngeren und Internet-affinen Zielgruppen erhöht. Dabei war er bei jedem Post, bei jeder Diskussion als Mensch greifbar. Hier konnte man (digital vermittelt) live miterleben, was ein OB-Kandidat im Wahlkampf alles treibt und welche Meinung er vertritt. Ähnliches gelang ihm auf einer eigenen Dialog-Plattform janik-für-erlangen.de: Hier konnten die Bürger Fragen stellen, die vom Kandidaten kurz, kompakt und direkt per Text oder Video beantwortet wurden. Letztlich ist hier dasselbe passiert wie im guten alten Straßenwahlkampf, nur dass auch Menschen in Kontakt mit dem Politiker gekommen sind, die (wie ich) um Wahlstände in Fußgängerzonen, auf denen Luftballons und Kugelschreiber verteilt werden, einen großen Bogen machen.
Beispiel Bundespolitik:
Auch aus Nordbayern kommt die frisch gewählte Bundestagsabgeordnete Gabriela Heinrich. Sie hat in den vergangenen Wochen das getan, was die meisten tun, die einen neuen Job in einer neuen Stadt annehmen: sich orientiert, eingearbeitet, vernetzt und gespannt auf das Neue eingelassen. Auch das erfährt man von ihr im persönlichen Gespräch zum Beispiel auf einer ihrer Bürgersprechstunden – oder aber digital vermittelt in ihrem Blog, den sie vor wenigen Wochen ins Leben gerufen hat.
Ihr Blog gefällt mir deshalb so gut, da er, wie von mir oben gefordert, den Politiker als Mensch zeigt, der eben einen besonderen Auftrag und besondere Themen hat, ansonsten aber „wie du und ich“ ist. In einem ihrer letzten Blogbeiträge schildert sie zum Beispiel, wie sie sich auf ihre Redebeiträge im Bundestag vorbereitet und dass man natürlich auch als Bundestags-Neuling Lampenfieber vor seiner ersten Rede hat. Polit-Profi und normaler Mensch zu sein, schließt sich nicht aus.
Das ist die Botschaft, das baut Distanz ab und hilft jene Polarisierung zu vermeiden, die irgendwann in Desinteresse und Politikverdrossenheit mündet.
Christian Buggisch
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- Social Media vs. Politikverdrossenheit - 24. April 2014
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