Die Europäische Union hat in der öffentlichen Meinung den Ruf, fest in der Hand der Konzerne zu sein. Gerade aus Deutschland, das lange Zeit eine enge Verflechtung zwischen Finanzwelt, Industrie und Politik pflegte und teilweise immer noch pflegt, ist dies ein bemerkenswerter Vorwurf.
Fakt ist: die EU funktioniert anders. Die europäischen Institutionen erinnern auf den ersten Blick zwar an die auch in Deutschland bekannten Organe wie Parlament, Bundesrat und Bundesregierung. Der Brüsseler „Maschinenraum der Macht“ unterscheidet sich in seiner Funktionsweise aber zum Teil fundamental von der hiesigen Praxis. Das muss nicht immer schlecht sein: In vielerlei Hinsicht sind die EU-Kommission und das Europäische Parlament zum Beispiel transparenter als deutsche Institutionen.
Die Kommission sieht sich als neutraler Verwalter
So kann man deutlich sehen, dass NGOs und zivilgesellschaftliche Organisationen in Brüssel ebenfalls Einfluss nehmen. Und das teilweise sehr erfolgreich, wie die anhaltende Kritik am US-Freihandelsabkommen (TTIP) zeigt.
„Erst kritisieren die Gegner den Mangel an Transparenz. Dann, als die EU-Kommission bemüht ist, diese zu verbessern, ziehen sie deren Glaubwürdigkeit grundsätzlich in Zweifel“
, beschwerte sich ein sichtlich frustierter Handelsblatt-Redakteur kürzlich und fragt:
„Sind die TTIP-Gegner überhaupt irgendwelchen Argumenten gegenüber aufgeschlossen?“
Der öffentliche Druck ist so groß, dass die TTIP-Verhandlungen – zum Leidwesen der Wirtschaft – nur schleppend vorangehen.
Fakt ist auch: die EU-Kommission ist im Vergleich zu nationalen Verwaltungen relativ klein und deswegen auf Informationen von außen angewiesen – natürlich auch aus der Wirtschaft. Im Unterschied zu den Regierungen in den Mitgliedsstaaten agiert die Kommission allerdings nicht parteipolitisch, sondern als neutraler Sachwalter der „europäischen Interessen“. Dies liegt daran, dass ihr Politiker aller grossen politischen Strömungen angehören. Deswegen finden sachliche Argumente leichter ihren Weg in die Vorlagen der Kommission als parteiische Vorschläge.
In Brüssel braucht man Verbündete
Das Mehrebenen-System der EU verkompliziert die Entscheidungsprozesse innerhalb der Europäischen Union weiter. Ein in Deutschland gut vernetztes Unternehmen kann sich in Brüssel leicht vor verschlossenen Türen wiederfinden. Für erfolgreiche Kampagnen ist das Schmieden einer länderübergreifenden Koalition entscheidend. Nichtregierungsorganisationen fällt dies mitunter leichter als Unternehmen, die ja in der Regel auch im Wettbewerb miteinander stehen. Deutlich wurde dies nicht zuletzt bei der erfolgreichen Koordinierung der Anti-ACTA-Proteste vor zwei Jahren. Der Ruf Brüssels als Hochburg der Interessenvertreter ist also durchaus berechtigt – allerdings sind Umweltschutz- und Verbraucherorganisationen dort genau so aktiv wie Unternehmen und Verbände. Und ein Heimspiel wird die erfolgreiche Interessenvertretung für Unternehmen auch nach der Wahl zum EU-Parlament im Mai 2014 nicht sein, wenn erstmals ein europäischer Spitzenkandidat der Parteien die Chance hat, Kommissionspräsident zu werden. Erst recht, weil der Einzug von mehreren kleinen Parteien dazu führen könnte, dass sich auch in Brüssel eine „GroKo“ formiert – mit allen Herausforderungen, die dadurch entstehen.
Lesetipp: „Brüsseler Fallstricke: Um in Brüssel erfolgreich zu lobbyieren, muss man die dortigen Spielregeln kennen“ (politik&kommunikation, Oktober 2013)
Daniel Florian
Zuvor arbeitete er bei dimap communications und beschäftigte sich vor allem mit den Themen Public Diplomacy und digitale politische Kommunikation.
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