Deutschland blickt mit Spannung auf den Wahlabend am Sonntag. Als wäre danach alles entschieden und die Republik könne endlich wieder zu Ruhe kommen. Bestimmt ist es auch so. Doch für das politische Berlin geht es dann erst so richtig los. Ein Blick auf die Zeit nach dem Wahlabend lohnt sich.
Die Mehrheiten
Über den Wahlausgang wird in diesen Tagen viel spekuliert. Denn am Ende wird es – rein rechnerisch – doch noch ein knappes Rennen. Regierungs- und Oppositionsparteien liegen in den aktuellen Umfragewerten beinahe gleichauf. Sollte es dabei bleiben, gäbe es keine echte Mehrheit für eines der beiden Lager.
Eine große Koalition wäre dann die einzig etablierte Bündnisoption auf bundespolitischer Ebene, die eine komfortable Mehrheit böte. Die einzig verbleibende Alternative mit satter Mehrheit wäre gleichzeitig ein bundespolitisches Novum: Schwarz-Grün. Obendrein wäre eine solche Koalition auch noch unbeliebt. Während laut Forschungsgruppe Wahlen 50 Prozent der Bundesbürger eine Große Koalition befürwortet, lehnen 49 Prozent Schwarz-Grün ab.
Mehrheiten im Bundestag sind das eine. Die Durchsetzbarkeit der Regierungsvorhaben im Bundesrat das andere. Jede Regierungskoalition nimmt sich meist zu Beginn ihrer Amtszeit die großen Reformprojekte vor und setzt Wahlversprechen um. Durch die Föderalismusreform hat sich der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze im Bundesrat zwar von 52 Prozent auf 39 Prozent verringert. Dennoch wird der Bundesrat auch in der nächsten Legislatur eine wichtige Rolle spielen.
Denn hier haben die Länder mit Beteiligung von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke eine absolute Mehrheit (siehe Grafik). Der Vorsprung könnte sich mit der Hessen-Wahl am Sonntag sogar noch vergrößern. Ein Durchregieren – selbst mit einer Großen Koalition – wäre daher nicht möglich. Spätestens hier wird es also Kompromisse geben müssen.
Quelle: Bundesrat
Die Regierungsbildung
Doch die Zeit der Kompromisse startet für die neue Regierung schon viel früher. Bei ihrer eigenen Bildung.
Kurz nach der Wahl nehmen die möglichen Koalitionspartner die ersten Sondierungsgespräche auf. Die Verhandlungsteams sind zu diesem Zeitpunkt bereits bestimmt. In der Regel gehören die Parteivorsitzenden, die stellvertretenden Vorsitzenden, die Fraktionsvorsitzenden und die Parlamentarischen Geschäftsführer dazu.
Circa zehn Tage nach der Wahl (siehe Grafik) steht fest, welche Parteien Koalitionsgespräche aufnehmen werden. Die Arbeitsgruppen (2009 waren es zehn Arbeitsgruppen) übernehmen die Detailarbeit und treffen sich meist dazu in den Vertretungen der Länder beim Bund. Fachpolitiker ringen nun um die Aufnahme der wichtigsten Punkte aus den Wahlprogrammen in den Koalitionsvertrag.
Zwischenergebnisse aus den Arbeitsgruppen werden an die Spitzenrunde weitergegeben, die abschließend über die Formulierungen entscheidet. Erst wenn sie eine vollständige inhaltliche Einigung erzielt hat, trifft sich die Spitzenrunde zur letzten Verhandlung – meist im Bundeskanzleramt –, um Ämter und Ministerposten zu verteilen.
Die Koalitionsverhandlungen dauern im Schnitt weniger als 30 Tage (siehe Grafik). Der abgestimmte Koalitionsvertrag wird zwei bis drei Wochen nach der Einigung auf Sonderparteitagen durch die Delegierten verabschiedet.
Quelle: Ketchum Pleon
Der neue Bundestag
Doch nicht nur die Regierungsbildung läuft nach dem Wahltag auf Hochtouren, sondern auch die Konstituierung des neuen Bundestages.
Spätestens Dienstagmittag nach der Wahl reisen die Abgeordneten aus ihren Wahlkreisen zurück nach Berlin. Für neue Abgeordnete beginnt nun eine Einführungs- und Orientierungsphase in den parlamentarischen Alltag. Nur zu diesem Zeitpunkt kommen die Fraktionen des alten und des neuen Bundestages gemeinsam zusammen. In dieser ersten Sitzung wählen sie aus ihrer Mitte den Vorsitzenden und den Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer, die als Verhandlungsführer in den kommenden Wochen auftreten. Scheidende Abgeordnete werden gewürdigt, bleiben aber bis zur konstituierenden Sitzung des neuen Bundestages im Amt.
Spätestens 30 Tage nach der Wahl muss das neue Parlament erstmals zusammenkommen. In der Zwischenzeit beschließt der Ältestenrat, welche Ausschüsse es geben wird und wie viele Abgeordnete diesen angehören sollen. Es wird verhandelt, welche Fraktion welchen Ausschussvorsitz erhält. Eventuell sind schon die Obleute bekannt. Zeitgleich stellen die Abgeordneten ihre Mitarbeiterstäbe zusammen, beziehen ihre Büros und melden ihr Interesse an der Mitarbeit in bestimmten Ausschüssen an.
Mit Eröffnung der konstituierenden Sitzung des Parlaments und nach der abschließenden Feststellung des Wahlergebnisses sind die gewählten Kandidaten offizielle Mitglieder des Deutschen Bundestages. Sind die Koalitionsvereinbarungen bereits abgeschlossen, erfolgen die Kanzlerwahl sowie die Vereidigung des Kabinetts. Im Anschluss an die erste Sitzung des 18. Deutschen Bundestages konstituieren sich die Bundestagsausschüsse. Die parlamentarische Arbeit beginnt – unabhängig davon, ob die neue Bundesregierung bereits steht.
Der 18. Deutsche Bundestag wird insgesamt größer, jünger und digitaler. Seit diesem Jahr gilt ein neues Wahlrecht. Durch sogenannte Ausgleichsmandate wird der neue Bundestag nach aktuellen Schätzungen um 30 bis 70 Abgeordnete wachsen. Ein Drittel der amtierenden Abgeordneten kehrt voraussichtlich nicht in den Bundestag zurück. Die Kandidaten, die sich zur Wahl stellen und gute Chancen auf den Einzug in den Bundestag haben, sind durch die Bank jünger. Bereits heute nutzen mehr Abgeordnete Online- und Social-Media-Instrumente. Mit der Verjüngung des Bundestags steigt vermutlich auch die Zahl der Parlamentarier mit einer starken Online-Affinität.
Nicht nur der Wahlabend wird also spannend, sondern auch die Tage und Wochen danach. Es lohnt sich dranzubleiben und das Geschehen zu beobachten. Vor allem, um später nicht von den Entwicklungen überrascht zu werden. Das gilt insbesondere für Unternehmen, Verbände und NGOs.
Jan Böttger
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