Wetten, dass die nächste Koalition ganz anders aussehen wird als heute noch gedacht? In Zeiten, in denen Wahlumfragen so unsicher geworden sind wie die Wettervorhersage für den Kurzurlaub am Wochenende, sind den Spekulationen keine Grenzen gesetzt: Das vermeintlich sichere und doch bei Wählern und allen Parteien, bis auf die FDP natürlich, ungeliebte Schwarz-Gelb. Rot-Grün, wenn auch unwahrscheinlich, das bei der SPD befürchtete Szenario Große Koalition, Rot-Rot-Grün oder auch Insiderszenarien, etwa der Wechsel von Abgeordneten der Linksparte in die SPD-Fraktion – fast alles scheint möglich oder wird zumindest diskutiert.

Und natürlich Schwarz-Grün. Dieses Szenario ist besonders interessant. Denn die unsicheren Wahlprognosen sind nur die Spitze eines Eisberges. Es gibt unüberschaubar viele Gründe für die vielen Möglichkeiten politischer Koalitionen – nicht zuletzt die Strategie der Bundeskanzlerin. Grund genug, einen Blick auf den möglichen künftigen Kurs von Merkel für ihre Volkspartei CDU zu werfen.

Das historische Vermächtnis Merkels 

Politiker neigen dazu, der Nachwelt ein Vermächtnis hinterlassen zu wollen – bestes Beispiel ist US-Präsident Bill Clinton. Sein Versuch, in Camp David Israelis und Palästinenser zu versöhnen, hatte wohl vor allem eine Motivation: Clinton wollte als Friedensstifter im langwierigsten internationalen Konflikt des 20. Jahrhunderts in die Geschichtsbücher eingehen. Es blieb ein Wunsch. Französische Präsidenten haben es da leichter. Man baue einfach ein kolossales Kulturzentrum wie Georges Pompidou und schon ist der Auftraggeber in die kollektive Erinnerung eingebrannt.

Diese Tradition gibt es in der Bundesrepublik Deutschland nicht. Wohl aber die oft beschworenen „historischen Leistungen“: einen Kanzler der Ostpolitik, einen Kanzler der Deutschen Einheit und einen Kanzler der Agenda 2010. Und Angela Merkel – ist sie zu sachlich-nüchtern, zu sehr Physikerin, um an einem Platz in den Geschichtsbüchern interessiert zu sein?

Wir glauben das nicht. Unsere Wahrnehmung ist:

Merkel verspürt einen klaren historischen Auftrag, und sie folgt diesem mit beeindruckender Konsequenz.     

Die CDU muss Volkspartei bleiben – dies ist die Mission ihrer Vorsitzenden. So schlicht sich dieses Ziel ausdrücken lässt, so komplex gestaltet es sich angesichts einer sich atomisierenden Gesellschaft, die vor allem eines verbindet: das grassierende Misstrauen gegenüber den etablierten Parteien. Dieses Problem trifft auch die CDU. Und doch hat Angela Merkel einen großen strategischen Vorteil. Die CDU-Stammwähler und -parteigänger sind vergleichsweise diszipliniert. Sie kehren der Partei nicht so rasch den Rücken wie dies bei der anderen deutschen Volkspartei, der SPD, der Fall ist. 

Nachhaltigkeit als Megathema des 21. Jahrhunderts 

Zudem profitiert Merkel von einer historischen Entwicklung. Das Gespenst, das seit der Industrialisierung in ganz Europa umging, es ist gebändigt: Die soziale Frage ist beantwortet. Nirgendwo in Europa – auch nicht im krisengeschüttelten Süden, nicht in der Unión Izquierda Spaniens, nicht in den portugiesischen Linksparteien, nicht in der griechischen Syriza – wird ernsthaft die soziale Marktwirtschaft infrage gestellt. Doch schon ist ein neuer Geist zu spüren. Nach der sozialen Gerechtigkeit wird die ökologische Gerechtigkeit prägend für die politischen Debatten der Zukunft sein. Früher als andere hat Angela Merkel erkannt, dass Nachhaltigkeit ein Megathema des 21. Jahrhunderts wird. Sie ist politisch sensibel genug, um zu wissen, dass dieses Thema konservative Urfragen berührt. Und sie weiß auch, dass das Wahlvolk den Grünen bei diesem Thema deutlich mehr Kompetenz zutraut als ihrer Partei. Vor diesem Hintergrund überrascht eine aktuelle Umfrage kaum, nach der die Grünen ein Wählerpotenzial von 40 Prozent haben. Das wäre Volkparteiniveau.

Genügend Gründe also für Merkel, um das aus der Großen Koalition erprobte Prinzip der Marginalisierung des Junior-Partners auf eine schwarz-grüne Koalition zu übertragen. Dass die Wähler nach vier Jahren Schwarz-Grün Angela Merkel und damit der CDU die größere Kompetenz beim Management von Nachhaltigkeitsthemen wie der Energiewende zuschreiben, ist Angela Merkel allemal zuzutrauen. Vor allem traut sie selbst sich das zu. 

Auf dem Weg, den Status der CDU als einzige Volkspartei Deutschlands zu zementieren, wäre für Merkel daher eine schwarz-grüne Koalition der nächste konsequente Schritt. Inhaltliche Gründe, die bewährten gelben oder roten Koalitionspartner in die Opposition zu schicken, werden sich schon finden.

Vor der Wahl noch ausgeschlossen

Offiziell schließt Merkel ein schwarz-grünes Bündnis noch aus. Eine solche Koalition stehe nicht auf der Tagesordnung. Das ist die übliche Wahlkampfrhetorik. Auch Bündnis90/Die Grünen, insbesondere der linke Flügel um Jürgen Trittin, haben eine Koalition mit der Union ausgeschlossen. Als Grund werden die Unterschiede in den Parteiprogrammen angeführt. Tatsächlich gibt es darin aber ebenso große Schnittflächen wie Annäherungen auf persönlicher und atmosphärischer Ebene.

Und längst wird Schwarz-Grün nicht mehr nur in Feuilletons und avantgardistischen Parteizirkeln diskutiert. Merkel selbst sagte vor wenigen Tagen in einem Interview:

„Es gibt nicht mehr die starren Trennlinien zwischen den verschiedenen Parteien und politischen Lagern, wie es sie vor vielen Jahren gab. (…) Darüber können wir alle aber auch froh sein.“

Denn dann gibt es weniger Konflikte, weniger Unruhe, mehr Harmonie und mehr Gemeinsamkeiten – und es stellt sich konsequenterweise die Frage, warum ein anderer Kandidat und nicht die Bundeskanzlerin Deutschland regieren sollte.

Bleibt die Frage, ob es tatsächlich für eine eigene Mehrheit von Schwarz-Grün im nächsten Bundestag reicht. Darauf lassen die aktuellen Umfragen schließen. Wenn nicht, könnte dies ein Grund dafür sein, dass am Ende Angela Merkel der politische Pragmatismus doch wichtiger ist als das historische Vermächtnis.

Doch darauf wetten würden wir nicht.  

Autoren:

Dr. René Mono und Arne Wiechmann

Dr. René Mono  ist Geschäftsführer der 100 prozent erneuerbar stiftung, einem Think Tank für eine dezentrale Energiewende. Zuvor arbeitete er zehn Jahre lang als Public-Affairs-Berater.

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Arne Wiechmann

Arne Wiechmann

Arne Wiechmann ist Office Head bei Ketchum Pleon Berlin. Er ist seit 2004 im Unternehmen und spezialisiert auf Public Affairs und Unternehmenskommunikation, insbesondere für Kunden aus der Energiewirtschaft.
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