Trotz schleppender Anfangsphase ist das Wahlkampfgetöse nicht mehr länger zu überhören. Während die meisten Wahlkämpfer am Tag nach der Wahl kräftig durchpusten können, beginnt für Interessenvertreter dann erst der heiße Tanz. Denn nur wenige Tage nach der Wahl treffen sich bereits Parteivertreter zu den Sondierungs- und Koalitionsgesprächen.
Was die Verhandlungsteilnehmer in den neuen Koalitionsvertrag schreiben, dominiert nicht nur die Agenda der neuen Regierung. Ein Absatz zu viel oder zu wenig oder nur ein ungünstig formulierter Satz kann das Arbeitsprogramm eines Public Affairs-Verantwortlichen für die nächste Legislaturperiode bestimmen.
Doch wie laufen die Verhandlungen eigentlich ab? Gibt es Orientierungspunkte für diese Phase voller Hektik, Kuhhandel und Überraschungen?
Alle Fragen offen?
Noch dominieren die Fragezeichen. Für welche Konstellationen reicht es, welche Parteien könnten also überhaupt miteinander koalieren? Wie lange dauert die Sondierungsphase, wann beginnen die eigentlichen Koalitionsverhandlungen? Welchen thematischen Zuschnitt geben die Koalitionäre den verschiedenen Verhandlungsgremien? Wer sitzt an den großen Hebeln und wer verhandelt die fachpolitischen Details?Also alles unklar? Nicht ganz – einige Wegmarken gibt es.
Die zeitliche Dimension
Die Sondierungsgespräche sind die zeitlich unsichere Variable und haben die Koalitionsfindung schon oft in die Länge gezogen. Ist eine Liebesheirat von Schwarz und Gelb oder Rot und Grün möglich, ist die Sondierungsphase kurz und kann nach einer Woche bereits vorbei sein. Ist es eine Hochzeit ohne Liebe, wird sondiert was das Zeug hält. Bevor sich etwa Schwarz und Rot zu einer großen Koalition durchringen, müssten zuerst alle anderen Optionen aussondiert sein. Schwarz-Grün und jedes Dreierbündnis wären – wenn überhaupt – nur mit heftigen und zeitintensiven parteiinternen Diskussionen zu machen. Aus etwa einer einwöchigen Sondierungsphase wird bei einer Zweckheirat schnell ein Monat.
Haben sich die Parteien grundsätzlich auf eine gemeinsame Regierungskoalition geeinigt, dauern die Verhandlungen um die konkreten Inhalte des Koalitionsvertrags dann meist drei bis vier Wochen – unabhängig von den Verhandlungspartnern. Aber auch hier gilt: es darf sich auf kurzfristige und hektische Terminverschiebungen eingestellt werden.
Die organisatorische Dimension
Die Elefanten der Parteien sitzen in der „großen Koalitionsrunde“. Jede Verhandlungspartei entsendet in der Regel gleich viele Delegierte in dieses übergeordnete Gremium, welches sich um die großen Linien im Koalitionsvertrag kümmert.
Koalitionsverhandlungen 2009, CC BY-SA 3.0 DE Oliver Wolters
Zu Beginn der Verhandlungen wird darüber bestimmt, welchen Zuschnitt die Verhandlungsgruppen haben. Detailfragen der einzelnen Politikfelder werden in diesen etwa zehn Arbeitsgruppen verhandelt.
Um den Verhandlungsapparat nicht zu sehr anschwellen zu lassen, werden mehrere Politikfelder in einer Arbeitsgruppe zusammengezogen. Durchaus denkbar beispielsweise, dass das Thema Energie zusammen mit Wirtschaft und Umwelt verhandelt wird oder Gesundheit mit den Themen Ernährung und Verbraucherschutz. Enden die Verhandlungen in den Arbeitsgruppen in einer Sackgasse, sucht die große Koalitionsrunde nach Kompromissen. Für jede Arbeitsgruppe stellen die Verhandlungsseiten je einen Berichterstatter, der die Verhandlungen parteiintern führt und das Scharnier zur Parteispitze bildet.
Die Organisation der Verhandlungen liegt in der Hand der sogenannten Steuerungsgruppe. Sie strukturiert die Verhandlungen, stimmt die Tagesordnungen der großen Koalitionsrunde ab und verteilt Arbeitsaufträge an die Arbeitsgruppen.
Die personelle Dimension
Die Hauptverantwortung der Verhandlungen liegt in der „großen Koalitionsrunde“. Ihr gehören neben den Parteiführungen und Fraktionsspitzen auch die wichtigsten Mandatsträger wie Bundesminister oder mächtige Landespolitiker an.
In der Steuerungsgruppe sitzen meist die Generalsekretäre der verhandelnden Parteien beisammen und regeln alles Organisatorische. Auch der Chef des Bundeskanzleramts war in der Vergangenheit nicht selten Teil dieses Gremiums.
Bei der Besetzung der fachpolitischen Arbeitsgruppen entscheidet in aller Regel das Politikfeld, in dem die Politiker die letzten vier Jahre gearbeitet haben. Ein Verteidigungsminister der letzten Legislaturperiode oder ein verteidigungspolitischer Sprecher sitzt also mit einiger Wahrscheinlichkeit auch in der entsprechenden Arbeitsgruppe. Allerdings versuchen sich Politiker auch hier bereits für neue Aufgaben in Stellung zu bringen.
Ole Wulff
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