Ich lege mich fest: Der Bundestagswahlkampf 2013 ist ohne jeden Zweifel die spannendste politische Auseinandersetzung der jüngeren Geschichte. Der offene Schlagabtausch zwischen den Kandidaten gleicht einem Duell auf Leben und Tod. Die Parteien streiten hart um die Themen der Zukunft. Das Wahlvolk ist elektrisiert.
Gut, das war ganz offensichtlich gelogen. Wie aber steht es tatsächlich um die Wahrheit rund um die #BTW13? Hat Trittin recht, wenn er sagt, die Steuerpläne der Grünen bedeuteten eine Entlastung für 90 Prozent der Wähler? Stimmt es, dass die Erwerbsquote von Müttern in Bayern am höchsten ist, wie Seehofer behauptet?
Das ist ein Fall für Faktenchecker – Institutionen oder Personen, die den Wahrheitsgehalt politischer Aussagen anhand von öffentlich verfügbaren Daten und teils aufwendigen Recherchen überprüfen. In der Regel übernehmen Medien und NGOs die Rolle von Faktencheckern. Im aktuellen Bundestagswahlkampf ist dieser Trend auch in Deutschland zu beobachten.
Die Vorbilder
Das Vorbild kommt, wie so oft aus den USA. Dort versteht man sich ja bekanntermassen auf die Arbeit mit großen Datenmengen. So haben im vergangenen Wahlkampf beispielsweise CNN, die Washington Post oder die University of Pennsylvania den Wählern geholfen, politische Aussagen zu überprüfen. Aber auch anderswo hat sich das Konzept bewährt, wie die Popularität der „Decodeurs“ der französischen Le Monde oder der Africa Check belegen.
Und in Deutschland?
Ein Vorläufer des deutschen Formats ist der Plasberg-Talk „hart aber fair“: Am Tag nach der Sendung veröffentlicht die Redaktion im Web einen Faktencheck zu den Aussagen der Gäste. Parallelen gibt es auch zu den Markenchecks in der ARD oder dem Portal lebensmittelklarheit.de der Verbraucherzentrale, die Versprechen an die Verbraucher durchleuchten.
Zur Bundestagswahl hat sich aber besonders das ZDF in Zusammenarbeit mit Phoenix hervorgetan. Der öffentlich-rechtliche Faktencheck hat bisher zwar nur 13 Aussagen führender Politiker untersucht, dafür aber einen hinreichend transparenten Prozess angewandt. Neben der Expertise der eigenen Redaktion greift der Sender auf Autoren der Wikimedia e.V. zurück. Zusätzlich haben Wähler in einem moderierten Prozess die Möglichkeit, Hinweise zu einer Fragestellung zu geben. Über 350 haben das auch bisher getan. Ergebnis: was Jürgen Trittin sagt „stimmt fast“. Horst Seehofer nimmt es dagegen bei den Müttern nicht so genau.
Auf der Suche nach der ganzen Wahrheit ist auch das Zeit Magazin aktiv. Für den Faktomat arbeitet die Redaktion eng mit Adhocracy, einer Liquid Democracy Plattform, zusammen. Zusätzlich zum Angebot des ZDF können Nutzer online abstimmen, welche Aussagen überprüft werden sollen.
Den besten Namen hat sich Spiegel Online überlegt. Der Münchhausen-Check ist amüsant zu lesen, aber in der SPON-üblichen Polemik selbst hart an der Grenze zur Kampagne. Was die Seite im Namen des Lügenbarons gut kann, ist Verlauf und Stand einer politischen Debatte abzubilden. Wer zum Beispiel die Erregungsmechanismen zum Veggie-Day kurz vor den Wahlen nachvollziehen will, wird hier fündig.+
Wie reagieren die Parteien?
Die steigende Popularität der Faktenchecks ist den Parteien nicht verborgen geblieben. Dass das ZDF anders als noch auf der re:publica angekündigt, den Faktencheck zur Wahl nicht ins Fernsehen bringt und auch keinen Live-Faktencheck zum Fernsehduell plant, mag als Indiz dafür gelten.
Fällt der Test positiv für die eigene Seite aus oder kann man den Check gegen den politischen Gegner einsetzen, nutzen die Parteien die Ergebnisse gern als Anlass zur Kommunikation. Da wird aus dem abwägenden „Stimmt so nicht“-Urteil über Volker Kauders Aussagen zur Mütterrente eine „dreiste Rentenlüge der Union“ bei den Grünen.
Einen Schritt weiter bei der Instrumentalisierung von Faktenchecks geht die Junge Union in Baden-Württemberg. Sie hat eine eigene Faktencheck-Seite ins Leben gerufen. Die Belastbarkeit der getroffenen Aussagen ist aber dürftig. Die Serie „50 Tage – 50 Verbote“ widmet sich exklusiv den Grünen und verweist als „Faktencheck-Schnellbeweis“ lediglich auf je einen Artikel aus der Tagespresse.
Professioneller ist das entsprechende Portal der Bundespartei, der CDU Faktencheck. Hier werden öffentliche Aussagen und Dokumente als Belege herangezogen. Belastbare Daten fehlen aber meist. So zeugt die Absicherung einer Aussage von Kanzleramtsminister Pofalla zur NSA durch eine Aussage von Generalsekretär Gröhe von innerparteilicher Einigkeit, erlaubt aber keine Aussage zum Wahrheitsgehalt. Näher am Ziel ist da die FDP, die zumindest mit Zahlen operiert und eine, wenn auch äußerst plakative Gegenüberstellung von Positionen vornimmt.
Mit Abstrichen am besten schlägt sich die SPD. Vieles, was hier den Namen Faktencheck trägt, wie etwa die Gegenüberstellung der Wahlprogramme, ist zwar kein Faktencheck im strengeren Sinne und kommt auch nicht ohne die Floskeln des Wahlkampfes aus. Die Checks zu Schwerpunktthemen wie z.B. Pflege bieten aber umfangreiches Zahlenmaterial von mehr oder weniger unabhängigen Dritten.
Auch jenseits des unmittelbaren Wahlkampfgeschehens kommt der Faktencheck zum Einsatz. So macht die Landesregierung Baden-Württemberg nicht davor halt, den Begriff “Faktencheck” für die Rechtfertigung der eigenen Politik, zum Beispiel zur Energiewende, zu nutzen.
Fazit
Nicht überall, wo Faktencheck drauf steht, ist Faktencheck drin. Und nicht immer kann man als Wähler mit einer soliden Überprüfung rechnen. Die journalistischen Angebote sind in den meisten Fällen gute Entscheidungshilfen. Oder, um es mit dem Wahlspruch der linken Tageszeitung junge Welt zu sagen: „Sie lügen wie gedruckt. Wir drucken, wie sie lügen.“
Georg Schmitt, Secondee, World Economic Forum
Neueste Artikel von Georg Schmitt, Secondee, World Economic Forum (alle ansehen)
- Die ganze Wahrheit über den Wahlkampf - 16. August 2013
0 Kommentare
Kommentar schreiben