Der Schock nach Stuttgart 21 saß tief. Die Proteste im Ländle haben nicht nur Politik, Verwaltung und Unternehmen nachhaltig verunsichert. Sie haben auch die notwendige Debatte über Demokratie in Deutschland neu entfacht und vom Staub der politikwissenschaftlichen Literatur befreit. Diese Debatte hat sich seitdem zwischen Konzepten der kollaborativen Demokratie und Endzeitentwürfen einer Postdemokratie munter hin- und herbewegt. Ihr praktisches Resultat: Neue Formate der Bürgerkonsultation wurden ausprobiert, Leitfäden für Planer angepasst, kostenlose Beratungsstellen für Bürgerbeteiligung geschaffen und das Verwaltungsverfahrensgesetz modifiziert.

Im Wahlkampf allerdings spielt das neu entstandene Feld der Demokratiepolitik eine untergeordnete Rolle. Erstaunlich. Denn eine der wichtigsten Zukunftsfragen für das Land heißt doch, wie wir es mit unserer Demokratie halten, wie wir sie qualitativ verbessern und weiterentwickeln können – im Spannungsfeld zwischen Legitimität und Effizienz, zwischen Sparzwang und Gestaltungswillen.

Ohne Zweifel sind wir mitten in einem spannenden gesellschaftlichen Umbruch. Das Prinzip der Repräsentation hat an Kraft verloren. Gleichzeitig steigt die Fähigkeit, Interessen selbst zu organisieren und ihnen Gehör zu verschaffen. Parteien sind und bleiben die strukturierenden Elemente einer funktionierenden Demokratie. Aber sie organisieren Gesellschaft immer weniger. Die Konsequenz: Gemeinwohl muss sich anders, neu und auch aufwendiger bilden. Es hilft nichts, den gemütlichen Zeiten der Parteiendemokratie nachzuweinen. Bürgerinitiativen, Volksbegehren, Social Media-Aktivismus sind Fakt und werden uns so schnell nicht mehr verlassen. Und das ist auch gut so.

Antworten auf diese neuen Realitäten sind nicht leicht zu finden. Keine Frage. Gewachsenes ändert man nicht mal eben so auf die Schnelle. Doch würde man sich einen intensiveren Diskurs über neue Demokratie-Entwürfe wünschen. Gerade jetzt. Im Wahlkampf. Eine kreative Debatte sollte das sein – natürlich stets auf dem Boden des Machbaren, nicht im Höhenrausch des Utopistischen. Mein Appell: Machen wir  Demokratiepolitik. Holen wir das Thema in die Mitte der politischen Debatte. Es lohnt sich. Denn ohne Demokratie ist alles nichts.

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Dr. Maik Bohne

Dr. Maik Bohne

Maik Bohne ist promovierter Politikwissenschaftler. Seit Jahren beobachtet er internationale Wahlkampftrends. Als Projektleiter für die Initiative ProDialog befasste sich Maik Bohne mit dem Transfer US-amerikanischer Wahlkampfmethoden nach Deutschland. Aus dieser Arbeit resultierte das Buch: „Von der Botschaft zur Bewegung. Die 10 Erfolgsstrategien des Barack Obama.“ Seit Juli 2010 ist Maik Bohne bei der IFOK in den Bereichen Open Governance und Digitale Kommunikation tätig. Auf wahl.de wird er seinen Blick auf die Dialog- und Beteiligungsstrategien der Parteien richten.