Der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit erschallt im Wahljahr völlig unabhängig von der politischen Positionierung. Von blau bis lila wird sie vom Parteienspektrum gefordert, was auch völlig verständlich ist, denn wer will schon mit dem Wunsch nach mehr Ungerechtigkeit um Wähler werben? Es ist ein simpler und doch komplexer Begriff. Simpel, weil wohl jeder Mensch eine vage Vorstellung davon hat, was soziale Gerechtigkeit bedeutet. Komplex deshalb, weil diese Vorstellungen in der Realität bei vielen Menschen auseinanderklaffen. Spiegel Online hat deshalb die Führungspolitiker der sieben großen Parteien befragt, was sie sich unter dem Kampfbegriff vorstellen.
CDU: Peter Tauber (Generalsekretär)
Sozial gerecht ist, wenn Leistung honoriert wird, wenn Schwache Unterstützung erfahren und wenn es einen fairen Interessenausgleich gibt – dafür steht die soziale Marktwirtschaft. Jeder braucht die Freiräume, um das Beste aus seinem Leben zu machen; niemand wird zurückgelassen.
Leistungsbereitschaft und sozialer Ausgleich gehen Hand in Hand. Soziale Gerechtigkeit heißt: Vor dem Verteilen kommt das Erwirtschaften. Daher ist soziale Gerechtigkeit nur mit Innovation und Wettbewerbsfähigkeit möglich.
Soziale Gerechtigkeit ist für die CDU untrennbar mit einer prosperierenden Wirtschaft verknüpft. Der Wettbewerb in der sozialen Marktwirtschaft ist dabei elementarer Grundpfeiler.
SPD: Martin Schulz (Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat)
Gerecht ist: Gleiche Chancen für alle, deshalb kostenfreie Bildung von der Kita bis zur Uni.
Gerecht ist: Gute Arbeit zu guten Löhnen, gleiche Bezahlung für Männer und Frauen, faire Renten UND bezahlbare Beiträge.
Gerecht ist: Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen zu entlasten.
Gerecht ist: Die Menschen und ihre Würde in den Mittelpunkt des politischen Handelns zu stellen. Wer hart arbeitet, Kinder erzieht oder Angehörige pflegt, verdient den Respekt der Gesellschaft.
Für Martin Schulz buchstabiert man soziale Gerechtigkeit offenbar mit dem SPD-Wahlprogramm. Das ist insofern nicht verwunderlich, als dass einer der sozialdemokratischen Slogans für diesen Wahlkampf „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ heißt. Hängen bleibt ganz klassisch: Bildung, Lohn, Familie.
Die Linke: Katja Kipping und Bernd Riexinger (Parteivorsitzende)
Sozial gerecht ist, wenn niemand in Armut leben muss, kein Kind, keine Rentnerin, wenn alle sicher und frei von Existenzängsten leben können, wenn das eigene Leben planbar ist ohne Zukunftsängste, wenn die Mittelschichten besser gestellt sind, wenn Mieten bezahlbar sind und es mehr und besser bezahltes Personal in der Pflege, Gesundheit und Bildung gibt.
Sozial gerecht ist tariflich abgesicherte Arbeit, von der man leben kann, und wenn nicht mehr Leiharbeit, Niedriglöhne, Werkverträge, Befristungen das Leben von Millionen bestimmen. Sozial gerecht sind ein gebührenfreier Zugang zu öffentlichen Gütern und entsprechende öffentliche Investitionen in Bildung, Erziehung und Gesundheit.
Auch bei den beiden Linken-Chefs scheinen die Forderungen aus dem Parteiprogramm durch. Alles in allem kommt die Antwort deutlich: Soziale gerecht geht es zu, wenn Staat und Wirtschaft dafür sorgen, dass sich jeder frei entfalten kann.
Grüne: Katrin Göring-Eckardt (Spitzenkandidatin)
Sozial gerecht ist, was den sozialen Frieden bewahrt. Teilhabe- und Aufstiegschancen sind in Deutschland zusehends an Herkunft und Erbe geknüpft. Wenn Menschen mittleren Einkommens Probleme mit der Miete haben, wenn das Studium ein auskömmliches Leben oberhalb der Armutsgrenze nicht mehr garantiert und unser Konsum dazu beiträgt, dass sich Millionen Klimaflüchtlinge auf den Weg machen, steht für die Gesellschaft viel auf dem Spiel.
Deshalb jetzt: Armut und Ausgrenzung überwinden. Allen Menschen gesellschaftliche Teilhabe an Arbeit, Bildung und Chancen ermöglichen.
Der Drive der Partei zur Wirtschaft wird auch in dieser Antwort deutlich, auch Gleichberechtigung bleibt ein großen grünes Thema. Etwas verwirrend ist die Erwähnung von Millionen Klimaflüchtlingen.
FDP: Christian Lindner (Parteivorsitzender)
Sozial gerecht ist, wenn Menschen einen fairen Zugang zu Bildung, Gesundheit und Arbeit haben. Wenn niemand bei Lebensrisiken im Stich gelassen wird, aber ansonsten Fleiß und Talent Unterschiede begründen dürfen.
Christian Lindner hält es knackig: Wirtschaftsliberalismus mit der richtigen Grundlage!
AfD: Alice Weidel (Spitzenkandidatin)
Die Steuer- und Abgabenbelastung in Deutschland ist zu hoch. Es ist sozial ungerecht, wenn der Staat den Arbeitnehmern von jedem hart erarbeiteten Euro weniger als die Hälfte lässt. Der Steuerzahlergedenktag erinnert uns jährlich daran, wie Leistungsanreize durch zu viel Umverteilung gestört werden.
Sozial gerecht ist, wenn genug Netto vom Brutto am Ende des Monats übrig bleibt und am Ende des Erwerbslebens genug Rente zur Verfügung steht, um einen menschenwürdigen Lebensabend zu verbringen.
Überraschend wenig Migration hört man von der AfD. Stattdessen klingt man wie der etwas härtere Bruder der FDP: Mehr Netto vom Brutto und weniger Staat, mehr Markt.
CSU
Weder Parteichef Horst Seehofer von Spitzenkandidat Joachim Herrmann waren zu einer Auskunft bereit.
Louis Koch
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