Die Europäische Union ist in einem desolaten Zustand. Der Rückhalt innerhalb der Bevölkerung ist auf einem historischen Tiefstand. Der Vertrag von Lissabon, der neue EU-Ratspräsident und die neue EU-Außenbeauftragte konnten die Krise der europäischen Institutionen nicht verhindern oder lindern.

Foto: CC by-SA 3.0 Kreuzschnabl

Zusehends drängen rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien auf die europäische Bühne

In vielen europäischen Ländern können wir seit Jahren und verstärkt in den letzten Monaten ein Erstarken von rechtspopulistischen Parteien sehen. In Frankreich konnte Marine Le Pen mit ihrem Front National einen Wahlsieg erringen. In Österreich hat die FPÖ mehr als 20 Prozent der Stimmen erhalten. In Ungarn wurde gerade Victor Orban und seine Fidesz Partei klar wiedergewählt. In Großbritannien sehen Umfragen die rechtspopulistische Partei UK Independance Party mit rund 31 Pozent vorne. Und auch in Deutschland schickt sich erstmals eine Partei rechts von der CDU an den Sprung in das Europaparlament zu schaffen.

Die Reaktionen der etablierten Parteien sind dabei ganz unterschiedlich. Die einen versuchen in eine ähnliche Kerbe zu schlagen und damit den rechtspopulistischen Parteien die Wähler abzuringen. Andere versuchen sie politisch zu bekämpfen. Die SPD plädiert in einem Strategiepapier wiederum für eine klare Sprache, man solle nicht auf jede Provokation reagieren und man solle sich der Debatte stellen. Welche Strategie am Ende auch immer erfolgreich sein wird, sie bekämpft nur die Symptome nicht aber die Ursachen für das Aufkommen rechtspopulistischer Parteien.

Nun ist es nicht so, dass nur unverbesserliche  Rassisten solche Parteien wählen. Es ist nun auch nicht so, dass nur bildungsferne Schichten solche Parteien wählen. In vielen europäischen Ländern sind solche Parteien längst in der Gesamtgesellschaft hoffähig geworden. Wenn man diese Parteien politisch wirklich bekämpfen will dann muss man sich zu allererst anschauen warum Menschen diese Parteien wählen. Wie konnte es soweit kommen, dass in einem der Gründungsstaaten der EU, Frankreich, mehr als Zwanzig Prozent der Wähler eine rechtspopulistische und antieuropäische Partei wählen?

Der verschmähte Begriff aus der Mottenkiste 

Wenn man diesem Phänomen wirklich auf den Grund gehen will dann muss man meiner Meinung nach wieder einen längst verschmähten Begriff aus der Mottenkiste hervorkramen: den der Heimat. Nun ist es so, dass die Heimat, gerade in Deutschland, ein recht schwieriger Begriff ist. So gibt es die Heimatvertriebenen, die Heimatkultur, die Heimatfront oder den Heimaturlaub. Mit dem Begriff schwingt oft etwas Vergangenes, etwas Nationales oder etwas Anrüchiges mit. Doch trotz dieser schwierigen Vergangenheit ist der Begriff der Heimat zu wichtig um ihn einfach fallen zu lassen.

Heimat definiere ich dabei nicht als geographischen Raum sondern als ein Gefühl, als einen Ort der Geborgenheit, des Dazugehörens. So kann Heimat ein Gefühl sein, es kann der Fußballverein sein, es kann eine Diskothek sein oder es kann ein Freundeskreis sein.

Viele Menschen kennen eine solche Heimat nicht mehr. Dabei brauchen wir sie alle egal ob in der Großstadt oder auf dem Dorf egal ob alt oder jung. Wir brauchen ein Gefühl des Dazugehörens. Doch immer mehr Menschen fehlt dieses Gefühl der Heimat. Sie fühlen in sich eine große Verunsicherung.

Diese Verunsicherung hat viele Ursachen: auf der einen Seite greift die Ökonomisierung und die Globalisierung der Gesellschaft diese Heimat an. Hinzu kommt eine digitale Revolution die mittlerweile die gesamte Bevölkerung erfasst hat. Die wichtige Frage die sich nun daraus stellt lautet: kann Europa eine Heimat sein?

EU greift die Heimat an 

Zu erst einmal muss man feststellen, dass die EU die Heimat angreift und kaum neue Heimat anbietet. Trotz aller Weltoffenheit und Globalisierung verbinden viele den eigenen Nationalstaat noch mit Heimat. Dabei geht es den wenigsten wirklich um den Staat sondern vielmehr um Sprache, das sonntägliche Tatort schauen oder die kollektive Erinnerung an Ereignisse. Die EU mit ihren Bestrebungen der Vereinheitlichung greift zu allererst einmal diese Heimat an.

Doch die EU greift nicht nur die nationale Heimat an sondern sie steht auch für viele Gründe warum sich diese „Heimatlosigkeit“ und damit auch die große Verunsicherung in weiten Teilen der Bevölkerung so verbreiten konnte. Viele Menschen sehen, teils zu Recht, teils zu Unrecht, die EU als Treiber der Globalisierung, als Treiber der Digitalisierung und als Treiber eines zunehmenden ökonomischen Drucks innerhalb der Gesellschaft.

Die EU greift also das Gefühl von Geborgenheit, von Heimat an und kann dabei selber keinen Ersatz bieten. Dafür fehlt sowohl der materielle als auch die personelle Basis. Es fällt wohl den meisten Menschen schwer sich mit der EU-Kommission oder Jose Manuel Barroso zu identifizieren. Außerdem ist für die Identifikation wichtig, dass man selber daran beteiligt war, dass man selber dazu beigetragen hat. Doch Europa wurde in den letzten Jahrzehnten oft nur als rein ökonomischer Projekt von vielen betrachtet. Es ist dabei auch nicht verwunderlich, dass gerade in den Euro, also einer gemeinsamen Währung auch immer die Hoffnung einer stärkeren gemeinsamen Identität mitschwang. Und am Aufbau des Projektes Europa waren oft nur Politikerinnen und Politiker beteiligt. Es wurde leider im Laufe der Zeit vergessen auch die Bürgerinnen und Bürger in dieses Projekt einzubeziehen.

Europa als Projekt der Bürgerinnen und Bürger

Dabei wäre jetzt ein guter Zeitpunkt der Wende. Europa wurde auf den Erfahrungen des 2. Weltkrieges aufgebaut. Hier wird die EU nun Opfer ihres eigenen Erfolges. Meine Generation und auch ich persönlich, kann mir einen Krieg unter europäischen Ländern einfach nicht mehr vorstellen. Für mich klingt das eher nach Science Fiction als nach einem realistischen Szenario. Da kann ich mir die Geschichte Europas auch noch so oft vor Augen führen. Historische Erfahrungen und vor allem die damit verbundenen emotionalen Erfahrungen verblassen immer weiter.

Wenn wir in Europa den rechtspopulistischen Parteien wirklich Paroli bieten wollen dann müssen wir den Menschen in Europa wieder eine neue Heimat bieten. Was erst einmal so leicht klingt ist allerdings sehr schwierig umzusetzen. Doch zwei wichtige Schritte sind für diese Entwicklung unerlässlich: Europa darf kein rein ökonomisches Projekt mehr sein und Europa muss zum erfahrbaren Projekt der Bürgerinnen und Bürger werden. Nur so lassen sich nicht nur die Symptome sondern auch die Ursachen für das Aufkommen der rechtspopulistischen Parteien in Europa bekämpfen.

Der Beitrag erschien zuerst im Blog von Yannick Haan

The following two tabs change content below.
Yannick Haan

Yannick Haan

Yannick Haan engagiert sich seit mehreren Jahren politisch im Bereich Netzpolitik. Er ist unter anderem Sprecher des Forums Netzpolitik der Berliner SPD. Er veröffentlichte das Buch “Gesellschaft im digitalen Wandel”, ist kommunalpolitisch aktiv und setzt sich auf vielen Ebenen für eine höhere Bürgerbeteiligung, sowie Open Data, Open Educational Ressources, Open Access oder einer Modernisierung des Urheberrechts ein.
Yannick Haan

Neueste Artikel von Yannick Haan (alle ansehen)