»Lust auf Dialog, Mut zum Kontrollverlust, 100 Prozent sozial«: So knapp haben wir in einem Twitter-Interview zusammengefasst, wie die Online-Kampagne der LINKEN zur Bundestagswahl 2013 funktionierte. Was bedeutet das?

Die Ausgangslage 

Unsere Ausgangslage zu Beginn des Jahres 2013 war übersichtlich, aber teilweise hässlich: Im Vergleich zu den anderen Bundestagsparteien hatte DIE LINKE in den sozialen Netzwerken weniger Freunde, Fans und Follower und überdies kaum Geld und nur zwei Personen im Online-Team: Ein Redakteur für die Website und einer für den gesamten Rest. Zum Davonlaufen. Immerhin – DIE LINKE weiß die aktivsten, mobilisierungsfähigsten und treuesten Fans auf ihrer Seite. Damit kann man arbeiten.

Anders als in vergangenen Wahlkämpfen mussten sich die Online-Kampagne im Wahljahr 2013 ihren Platz in der Wahl- und Kommunikationsstrategie nicht erst erkämpfen. Es war von Anfang an Konsens, dass Online eine gleichberechtigte Position neben Plakaten, Broschüren, Handzetteln, Großveranstaltungen oder dem Straßenwahlkampf einnimmt. Themen und Tonalität des Wahlkampfes sollten online und offline die gleichen sein; Wiedererkennbarkeit optisch und inhaltlich hergestellt werden.

Reduzierung, Verschlankung und Konzentration 

Für unsere Online-Kommunikation bedeutete das eine Reduzierung und Verschlankung der Angebote. So haben wir unsere Online-Community linksaktiv.de im Februar eingestellt, die ohnehin ein Troll-Potenzial in mehrfacher Größenordnung des Heise-Forums hatte. Von WKW, StudiVZ und MySpace zogen wir uns zurück und vereinbarten stattdessen eine Konzentration auf Facebook, Google+ und das von uns zu lange ignorierte Twitter. Flickr und Youtube blieben unsere Kanäle für die Foto- und Videodistribution.

Zum Wahlparteitag Anfang Juni verpassten wir unserer Website einen Facelift, mit dem wir fortführten, was 2009 begann: Die Seite kommt als nüchternes, fast unterkühltes Nachrichtenportal daher; ohne Entertainment, Animationen und Schnickschnack. Stattdessen informieren wir ganz sachlich über Ziele und Personal der LINKEN, bieten Services für Kandidaten und Interessierte und nehmen zu tagespolitischen Themen Stellung. Hinter dieser konzeptionellen Entscheidung steht die Überlegung, dass es sowohl seitens der Wähler als auch der eigenen Parteimitgliedschaft ein besonders hohes Informationsbedürfnis gibt, dem wir Rechnung tragen müssen: Einerseits generiert DIE LINKE weniger Medienpräsenz als die anderen Parteien, gleichzeitig sind wir noch immer ein relativ junger Mitspieler im Parteienwettbewerb. Andererseits haben unsere Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer nur in den seltensten Fällen eine mehrjährige Ochsentour in gut organisierten Parteigliederungen hinter sich, in der sie sich für den Einsatz im Straßenwahlkampf stählen konnten. Diesen Lückenschluss mussten wir on- und offline bewältigen.

Der Ausgangspunkt unserer Aktivitäten bei Facebook, Twitter und Co war dabei grundsätzlich der gleiche. Seit Beginn des Jahres 2013 sind wir dazu übergegangen, die Inhalte für diese Plattformen jeweils speziell zu entwickeln, statt anderen Content zweitzuverwerten. Darüber hinaus standen wir vor der Herausforderung, überhaupt ausreichend neue Follower zu gewinnen, um Viralität und damit Reichweite generieren zu können. Dazu haben wir durchgehend Anzeigenkampagnen geschaltet und den Content auf seine Multiplizierbarkeit hin ausgerichtet. Mit Erfolg: Bei Google+ erreichten wir knapp über 20.000 Follower, bei Facebook wuchsen wir in den neun Monaten bis zur Wahl von rund 17.000 auf 50.000, bei Twitter von 7.000 auf rund 22.000 Follower. Das hat sich auch reichweitenmäßig bezahlt gemacht: Allein bei Facebook erreichten wir seit dem Start der Wahlkampagne Mitte Juli eine zweistellige Millionen-Reichweite; die-linke.de zählte allein im September rund 2,1 Millionen Seitenimpressionen.

Mobilisierung und Dialog

Über die gesamte Wahlkampagne haben wir auf die Mobilisierung unserer Anhänger und Aktiven orientiert, lieferten Argumente für DIE LINKE und gegen die Konkurrenten und setzten ansonsten voll auf den Dialog mit den Nutzerinnen und Nutzern. Vor allem letzteres ist unfassbar personalintensiv. Um unsere Antwortzeit von unter drei Stunden und ein gewisses Qualitätsversprechen beim Content halten zu können, haben wir auf großartige Innovationssprünge verzichtet, und stattdessen ein solides Pflichtprogramm geliefert.

So hatten wir uns online mit Kritik auseinanderzusetzen, ernteten Lob, nahmen Ideen auf, gewährleisteten das Feedback in die Kampagnenführung. Wir beantworteten jeden Beitrag, setzten uns mit damit auseinander und nahmen die User ernst. In der Online-Kommunikation mussten wir es daher hinnehmen, die Kontrolle darüber, was bei Twitter oder Facebook von Dritten über uns veröffentlicht wird, zu verlieren. In der klassischen Kampagnenführung mag das ein Albtraum sein. Für eine gute Online-Kommunikation ist dieser Mut zum Kontrollverlust unabdingbar.

Die Ernte

In der Zielgeraden vor der Wahl konnten wir ernten. Bis dahin war das Online-Team auf bis zu zehn Personen – darunter Praktikantinnen und Praktikanten sowie ausgeliehenes Personal aus anderen Bereichen unseres WahlQuartiers – angewachsen. DIE LINKE profitierte immer mehr von der Mobilisierungsfähigkeit ihrer Follower und Fans. Wenn wir beispielsweise bei Facebook eine Aufforderung veröffentlicht haben, dieses und jenes zu tun, dann passierte das in aller Regel. So erklärt sich, warum wir in Formaten wie »siebenxsieben« (Xing), Raabs Wahlarena, den Votings nach dem TV-Dreikampf oder sogar der Wahlumfrage auf bild.de Spitzenpositionen weit über den Umfrage- und Wahlergebnissen belegen konnten. Das entscheidet zwar nicht die Wahl, schafft aber für jeden einzelnen schnelle Erfolgserlebnisse. Gerade für unsere Anhänger in der – aus unserer Sicht – westdeutschen Diaspora ist das ein nicht zu unterschätzender Faktor.

Die Dialogorientierung unserer Online-Kommunikation hat sich insbesondere während der kleinen kommunikativen Krisen bezahlt gemacht, die wir während der Kampagne durchstehen mussten: Eine Falschmeldung zu einer 100 Prozent Einkommenssteuer; ein angebliches Weihnachts-Verbot in Berlin-Friedrichshain; eine Landtagsabgeordnete, die ihre Taxirechnung nicht bezahlt; ein Partei-eigenes Hotel, in dem zwar Tarif-, aber eben kein 10-Euro-Mindestlohn gezahlt wird: Das hätte jeweils Shitstorm-Qualitäten gehabt, und in der Tat waren wir online über alle Kanäle mit teils deftiger Kritik konfrontiert. Unser Online-Team hatte jedoch die Ressourcen und die Beinfreiheit, mit offenem Visier, klar und ehrlich mit diesen Themen umzugehen, sodass aus Problemen gar nicht erst Krisen wurden. 

Was hat das an der Wahlurne gebracht?

Die Online-Kampagne gehört zu den reichweitenstärksten Instrumenten unserer Gesamtkampagne und verbraucht nur einen kleinen Teil des Gesamtbudgets – immerhin gibt es inzwischen ein ernstzunehmendes Budget. Sie mobilisiert Mitglieder und Sympathisanten, versorgt sie schnell mit Informationen und Argumenten. Wie viele Stimmen wir dadurch gewinnen? Das wissen wir nicht.

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Mark Seibert

Mark Seibert

Mark Seibert, Jahrgang 1975, ist Ossi mit hessischem Migrationshintergrund. Er ist gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann und studierte einige Semester Politik- und Verwaltungswissenschaften. Seit 1999 macht er für die PDS, später DIE LINKE, Wahlkampagnen und verantwortet seit 2008 die Online-Kampagnen der LINKEN.
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