Prolog: Was bedeutet Netzneutralität?

In einer Studie des Centrum für Europäische Politik (cep) wird die Grundidee von Netzneutralität folgendermaßen beschrieben: Alle Datenpakete werden „unabhängig davon, woher diese stammen, welchen Inhalt sie haben oder welche Anwendungen diese Pakete generiert haben“, gleichberechtigt übertragen. Das wird „best effort“-Prinzip genannt. Diese Definition verwendet auch der Body of European Regulators for Electronic Communications und sie liegt auch dem folgenden Artikel zugrunde.

Im Theaterstück „Wahlkampf 2013“ spielt die Netzneutralität keine Rolle mehr, dabei stand sie bei den Proben im Frühsommer noch im Rampenlicht. Quer durch die politischen Lager und die Medienlandschaft wurde diskutiert, welche Auswirkungen die Pläne eines großen deutschen Telekommunikationsunternehmens haben, die Flatrate wie wir sie bisher kennen abzuschaffen. An deren Stelle sollen verbrauchsabhängige Tarife, eine Drosselung der Übertragungsgeschwindigkeit bei Überschreiten dieser Mengen eingeführt werden sowie die betreibereigenen Dienste bevorzugt werden. Zum damaligen Zeitpunkt wurde bereits deutlich, dass es ein unterschiedliches Verständnis von Netzneutralität gibt, ebenso wie unterschiedliche Positionen bei den Netzpolitikern der Bundestagsfraktionen. Die einen nannten die Pläne des Telekommunikationsunternehmens einen Angriff auf die Netzneutralität, andere hielten sich eher zurück und gaben zu bedenken, dass eine Umstrukturierung von Internettarifen zur unternehmerischen Freiheit gehört. Seither sind fast drei Monate vergangen. Das Thema spielt im Wahlkampf nicht einmal mehr eine Nebenrolle und findet auch in den Medien kaum noch statt. Selbst von den Netzpolitikern der Fraktionen kommt vor allem eines: Schweigen.

Das Nicht-Vorhandensein großer Themen und das weitgehende Schweigen renommierter Fachpolitiker – egal ob Gesundheit, Verbraucherschutz oder Wohnungsbau – scheint  symptomatisch für den Wahlkampf. Spätestens als die Kette der Kanzlerin beim TV-Duell den Sieg davontrug, ist das offensichtlich geworden. Bedenkt man die Tragweite von Netzneutralität und die Bedeutung des Internets, verwundert es, dass dieses Thema vom gleichen Schicksal getroffen wurde. Dabei geht es hier für Gesellschaft und Wirtschaft um nicht weniger als die essentielle Frage:

Wie sieht das Internet der Zukunft aus?

In den Wahlprogrammen der fünf im Bundestag vertretenen Parteien spielt das Thema Netzneutralität eine sehr unterschiedliche Rolle. CDU/CSU lassen das Thema außen vor, obwohl auch diese renommierte Netzexperten in ihren Reihen vorweisen. Die FDP beruft sich auf bereits existierende Regelungen, wie z.B. die im Telekommunikationsgesetz festgeschriebene „diskriminierungsfreie Datenübermittlung“. Die SPD will Netzneutralität gesetzlich verankern. Das fordern ebenso Grüne und Linkspartei. In einem Punkt aber sind sich alle Fraktionen einig:

Das Internet ist einer der wichtigsten Motoren für Wirtschaftswachstum.

Immerhin Wirtschaftsminister Rösler scheint das Thema dennoch so wichtig zu sein, dass er einen eigenen Entwurf einer Netzneutralitätsverordnung vorgelegt hat. Auch ein Grund, warum sich das Wirtschaftsministerium gerade sehr aktiv in Sachen Start-ups zeigt. Und: Die Politik ruft nach mehr IT-Fachkräften; die Abgeordneten Wiefelspütz (SPD) und Uhl (CDU) haben sogar ein deutsches Google  gefordert.

CC BY-SA 3.0 http://commons.wikimedia.org/wiki/User:Bin_im_Garten

Der nach verschiedenen Anhörungen überarbeitete Verordnungsentwurf von Minister Rösler weist heute mehr Schlupflöcher für Internetprovider auf als in der ursprünglichen Fassung. Die EU-Kommission hat mittlerweile – trotz Sommerpause in Brüssel – ebenfalls einen aktualisierten Entwurf ihrer Regulierung der Netzneutralität vorgelegt. Was beide Entwürfe charakterisiert: Sie erlauben eine Vorzugsbehandlung von sogenannten „managed services“. Das sind spezielle Dienstleistungen von Internetprovidern, für welche das sogenannte „best effort“-Prinzip ausgehebelt würde.

Würden die Vorschläge von Rösler und EU-Kommission wie vorliegend umgesetzt oder weiter zugunsten der Internetprovider geändert, drängen sich folgende Fragen auf: Welche Auswirkungen hätte dies auf Kreativität, neue Geschäftsmodelle, Start-ups im IT-Business? Was heißt das allgemein für Unternehmen, die auf ein schnelles Internet angewiesen sind, und darauf, große Datenpakete um die Welt zu schicken? Können dann nur noch finanzstarke Unternehmen von der vernetzten Wirtschaftswelt profitieren? Und ist  Deutschland dann noch ein Standort mit Perspektive für junge IT-Unternehmen?

Es bleibt abzuwarten, ob der internetpolitische Eifer nach der Bundestagwahl zurückkehrt, wenn der letzte Vorhang des Theaterstücks „Wahlkampf 2013“ gefallen ist. Spätestens dann sind vor allem die Politiker gefragt, die vor der parlamentarischen Sommerpause – unabhängig von ihrer politischen Couleur – noch ein ganzes Ministerium oder zumindest einen Staatsminister für das Internet gefordert haben. Sie sind sich einig darin, dass Deutschland als IT-Standort besser werden muss. Sie haben sich eine große Aufgabe gestellt, die für Wirtschaft und Gesellschaft bewältigt werden muss. 

The following two tabs change content below.
Carolin Friedemann

Carolin Friedemann

Carolin Friedemann ist Beraterin im Team Public & Corporate Affairs von Edelman.ergo. Seit Mai 2012 ist die Sprachwissenschaftlerin am Berliner Standort tätig. Vorher hat sie mehrere Jahre Berufserfahrung in Landesparlamenten und im EU-Parlament gesammelt. Sie betreut schwerpunktmäßig Kunden aus der IT- und Energiebranche.
Carolin Friedemann

Neueste Artikel von Carolin Friedemann (alle ansehen)