Das TV-Duell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück erreichte eine sagenhafte Quote: Rund 17,6 Millionen Zuschauer schalteten am Sonntagabend um 20:30 Uhr einen der vier übertragenden Sender ein – das entspricht einem Marktanteil von rund 50 Prozent. Eine derart große Bühne wird selbst den deutschen Spitzenpolitikern selten geboten. Und dennoch: Voll ausschöpfen konnten beide Kontrahenten das Potential des Formats nicht.

So wurde das TV-Duell zu einer vertanen Chance. Aus Angst, im strengen TV-Format etwas falsch zu machen, wirkten die Kanzlerin und ihr Herausforderer steif und emotionslos. Das zeigt sich schon bei der Kleidung: Kein Apricot, kein Lindgrün – die Kanzlerin entschied sich zum TV-Duell für einen staatsmännisch-marineblauen Blazer und glich in dieser Hinsicht ihrem Herausforderer Peer Steinbrück. Der trug, wie nicht anders zu erwarten, einen dunklen Anzug. Doch auch den Spielraum, der Männern beim klassischen Business-Dresscode bleibt, nutzte er nicht: keine symbolisch-rote Krawatte, sondern ein neutrales Muster. Vielleicht ein Indiz dafür, dass er gar nicht erst versuchte, die Rolle des linken Antipoden einzunehmen.

Seine Argumentation folgte stattdessen der früh vorgebrachten Maxime, Politik solle nicht nur „sozial gerecht“, sondern auch „ökonomisch vernünftig“ sein. Damit trug er seinem Image als Finanzexperten Rechnung. Steinbrück entsprach zumindest phasenweise dem Bild des streitbaren Herausforderers. Gleich zu Beginn ging er zum Angriff über, auf den Führungsstil der Kanzlerin genau wie auf die Politik der schwarz-gelben Koalition. Stellenweise gelang ihm das beachtlich: Neben den auswendiggelernten Passagen in der Anfangsphase konnte er mit verhältnismäßig impulsive Antworten den Emotionsgehalt des insgesamt faden Duells steigern.

Die Kanzlerin hingegen punktete zunächst in Sachen Accessoires: Ihre Kette (#schlandkette), ganz in Schwarz-Gold-Rot gehalten, war kein Zufall und erzielte schnell die intendierte Aufmerksamkeit beim Publikum. Die Symbolkraft der Kette passte dann auch zu Merkels Auftreten insgesamt. Sie inszenierte sich konsequent präsidial, auf die Attacken ihres Kontrahenten ließ sie sich gar nicht erst ein. Stattdessen zeigte sie sich besonnen und zuversichtlich, manchmal aber auch sichtlich genervt von den Nachfragen der Journalisten oder Attacken Steinbrücks. Allgemein blieb es während der 90 Minuten jedoch bei Altbekanntem: Steinbrück versuchte, das ihm zugeschriebene Talent „Klartext reden“ unter Beweis zu stellen, während Merkel souverän das Credo verkörperte „Es waren vier gute Jahre für Deutschland – weiter so!“. Auf ihre Art wirkten beide authentisch – nur leider wenig interessant. Neben den politischen Programmen, die beide zum x-ten Mal abspulten, wurden die Persönlichkeiten hinter Kanzlerin und Kandidat kaum sichtbar.

Ihre Berater hätten Merkel und Steinbrück im Vorfeld nicht nur nahelegen können, ihre politischen Standpunkte pointierter, ansprechender und interessanter zu verpacken. Auch Gegenfragen, Zuspitzungen und lebensnahe Beispiele hätten dem Gespräch gut getan. Elemente des Storytelling hätten das Duell erfrischend auflockern können und zugleich einiges über die Persönlichkeit von Kandidatin und Kandidat preisgegeben.

Wer das „kleine TV-Duell“ am Montagabend zwischen Gregor Gysi, Rainer Brüderle und Jürgen Trittin verfolgt hat, konnte von den Möglichkeiten eines solchen Formats zumindest einen Eindruck gewinnen. Die Diskutanten stritten während der gesamten Sendezeit – mal aufgebracht, mal höhnisch. Es wurde gestichelt, gekontert und gelacht. Für den Zuschauer weitaus fesselnder, weil emotionsgeladener und konfrontativer als das Kanzlerduell.

Merkel und Steinbrück haben sich offensichtlich bei der Vorbereitung zu sehr auf das gesprochene Wort konzentriert, Gestik und Mimik blieben bei beiden gleichermaßen starr. Dabei wissen Kommunikationsprofis und Medientrainer, welche Rolle die nonverbale Ebene bei Fernsehduellen spielt: Studien zeigen, dass bis zu 90 Prozent der Wirkung auf die Zuschauer über nonverbale Kommunikation erreicht wird. Der Hype um die Kanzlerinnenkette verdeutlicht, wie der einzige visuelle Reiz, der dem Publikum geboten wurde, überproportional an Bedeutung gewann. Die nonverbale Ebene hätte über ein Medientraining gezielt bedient werden können: Blickkontakt, Kameraspiel und Mimik, aber auch Körperhaltung und Styling wurde offenbar in der Vorbereitung zu wenig Bedeutung zugemessen. Neben den bis ins Detail zurechtgelegten Monologen, die merkbar eingeübt waren, wirkte der konzeptlose optische Anblick der Kontrahenten umso fader. Es war sicher eines der größten Defizite des Formats, dass keiner der Kandidaten sich diese enorme Wirkungsmöglichkeit zunutze machte.

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Karl-Heinz Heuser

Karl-Heinz Heuser

Karl-Heinz Heuser übernahm die Position als Market Leader und CEO bei Burson-Marsteller Deutschland im Januar 2005. Er zählt zu den erfahrensten und anerkanntesten PR- und Kommunikationsfachleuten in Deutschland.
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