71% der deutschen Wahlberechtigten verstehen die Euro-Krise nicht. Nur 22% der Deutschen sagen, sie verstehen das Gesundheitssystem. Der durchschnittliche Zuschauer bei der Sendung mit der Maus ist inzwischen 41 Jahre alt, Tendenz steigend.

Eurokrise und Gesundheitssystem sind in der politischen Debatte omnipräsente Dauerbrenner. Das macht auch Sinn, sie entscheiden nun mal über fundamentale, existenzielle Vor- oder Nachteile in der Zukunft jedes einzelnen Menschen. Aber obwohl ohne Ende über Schulden und Krankenkassen geredet wird, entsteht kein Mehr an Verständnis, kein Mehr an Aufklärung, aber fast immer ein Mehr an Meinung. 

In den letzten 50 Jahren hat sich die Fähigkeit von Medien, komplexe Zusammenhänge zu erklären enorm gesteigert. Die Filmindustrie macht die gesellschaftlichen Zusammenhänge von Kriminalität und urbane Entwicklung plastisch (die hervorragende TV Serie „The Wire“). Die Konferenz-Branche erfindet das erzählerische Vermitteln von Innovationsthemen neu (die packende Veranstaltung „TED“). Die Medien haben in den letzten Jahren mit immer neuen Darstellungsformen komplexe Zusammenhänge didaktisch aufbereitet, wie Infografiken, Animationen, Bewegtbild und neuen Erklärformaten wie Q&A.

Politik hat ihre Erklärleistung gemindert

Nur die Politik hat die Erklärleistung ihrer Kommunikation eher gemindert als weiter entwickelt, aus Angst angreifbar zu werden. Das ist eine Katastrophe und ein großes Versäumnis und zumindest in meinem Heimatland Österreich auch einer der Gründe für den erfolgreichen Rechtspopulismus. Jörg Haider konnte mit einfachen, kalkuliert in die Höhe gehaltenen Tafeln, auf denen die hohen Einkommen der bei einer politischen Talkshow für mehr soziale Gerechtigkeit werbenden Gewerkschaftsführer standen, die Mehrheit des Publikums auf seine Seite bringen.

Es gibt inzwischen so viele tolle Möglichkeiten, komplexe Themenstellungen spannend zu erklären. Was für ein toller Service der Politik wäre das, wenn ihre Vertreter dem Wähler ein Stück weit auch mal diese neue Welt besser verständlich machen könnten, statt ihn mit flachen Vergleichen und rethorischen Mätzchen vom Fernseher zu vertreiben. Kein Wunder, dass in dieser Diskussion die Wiederwahl einer Politikerin sehr wahrscheinlich ist, die genau genommen gar nicht kommuniziert.

Die Unternehmen haben den immer größer werdenden Gap zwischen Informationsbedürfnis und nachlassendem Einfluss der Medien gerade erkannt. Da klassische Werbung mit markigen Werbesprüchen und platter PR immer weniger funktioniert, werden Corporate Websites zu informativen Magazinen, Firmen schreiben Blogs, produzieren erklärende YouTube-Videos und teilen so zunehmend ihr Fachwissen mit den Menschen.

Eines der besten Beratungsportale für den amerikanischen Mittelstand gehört American Express, Red Bull bindet seine junge Zielgruppe lieber über eines der spannendsten Sport- und Lifestyle Bewegtbild-Magazine der Welt als mit Anzeigen, Google erklärt Marketeers, wie sie digitale Werbeformate effektiv einsetzen. Nicht aus purer Nächstenliebe, sondern weil Inhalte zählen.

Marketing Strategen haben längst erkannt, was es bedeutet, wenn Inhalte mehr und mehr im Internet verhandelt werden. Klassische Medien, in denen Werbebotschaften platziert wurden, verlieren zunehmend an Bedeutung. Digitale Medien sind auf dem Vormarsch. Doch sie funktionieren anders als Zeitung und Fernsehen. Das Netz ist ein Soziales Netzwerk. Dort wird nicht nur konsumiert, sondern geteilt, diskutiert, informiert, unterhalten. Wer dort mitspielen will, muss den Leuten einen Mehrwert über Inhalte bieten. Nur dann verdient er sich Traffic, Fans und Follower.

Wann gewinnt die Politik endlich diese Erkenntnis?

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Lukas Kircher

Lukas Kircher

Lukas Kircher ist geschäftsführender Gesellschafter und Creative Director der 2000 gegründeten Medienagentur KircherBurkhardt und bloggt selbst regelmäßig auf The Narrative" (http://www.kircher-burkhardt.com/#!/blog). Nach der Meisterklasse „Visuelle Mediengestaltung“ an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien zog es ihn ins Editorial Design. Er arbeitete in Österreich u.a. für die „Kleine Zeitung“ und „Die Presse“. 1997 ging er nach Deutschland, wo er nach Stationen bei der Berliner Zeitung und der Design-Entwicklung der Financial Times Deutschland bis 2000 als Leiter der Grafik und Entwicklungsgrafik beim „Stern“ wirkte.
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