An einem Montagabend im Januar letzten Jahres marodierten über 200 Neonazis und rechte Hooligans durch den Leipziger Bezirk Connewitz. In dem vor allem von Linken und Studenten bewohnten Viertel zerstörten sie Kneipen, schossen mit Pyrotechnik auf Wohnhäuser und warfen Ladenscheiben ein.
Aus einer geleakten Liste von Verdächtigen, die der Polizei ins Netz gegangen waren, bastelten Antifa-Aktivisten eine Datenbank, die neben den Fotos der Personen auch ihre Facebook-Profile und Verbindungsstrukturen in die Fußball- und Hooliganszene offenlegt.
VICE Deutschland hat 122 Profile der mutmaßlichen Straftäter aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen systematisch analysiert und dabei verschiedene Korrelationen entdeckt:
Männersache
100 Prozent der 122 Profile, die öffentlich einsehbar waren, waren männlich.
Offen Rechts
Die Hälfte der öffentlichen Profile favorisiert explizit rechtsextreme Inhalte. Als rechtsextrem hat VICE z.B. die NPD, die Neonazi-Partei „Der dritte Weg“ oder die Band Landser eingestuft. Rechte Bürgerinitiativen, wie die aus Freital, die AfD oder LEGIDA fallen nicht in die Kategorie.
Kampferprobt
Es ist kein Klischee, dass dem Großteil der Neonazis ein Interesse an Kampfsport gemein ist. Ganze 60 Prozent der untersuchten Profile liken dementsprechende Seiten. Ein besonderes Augenmerk liegt auf MMA (Mixed Martial Arts). Der Leipziger Freefighter Benjamin Brinsa, der selbst mit Verbindungen zur rechten Szene liebäugelt, gefällt 50 Prozent der Männer.
Schrei nach Liebe
Trotz der Rauheit, die im Milieu gerne nach außen getragen wird, sind viele Vertreter anfällig für zärtliche Tiefsinnigkeiten. Immerhin liken 23 Prozent der durchforsteten Profile Fanpages, die Bilder mit inspirierenden und tröstenden Sprüchen posten. Die Themenfelder der Seiten rangieren von aufmunternd, Marke „Süße Sprüche, die das Herz berühren“, bis verletzlich emotional, wie „Dir tut es leid? Schön, mir tut es weh.“
Dritte Halbzeit
75 Prozent der Randalierer liken außerdem Fanpages aus der Fußball-Peripherie. Oft im Kontext von Lokomotive Leipzig oder aber explizit Hooligan-Seiten. Dabei hat sich gezeigt, dass das Interesse am Hooligantum stärker ausgeprägt ist als die Zuneigung zum Fan-Dasein.
Musikaffin
Auch nach Musikgeschmack hat die VICE die Profile geclustert. An der Spitze: Rock (40%), zu großen Teilen Rechtsrock. Dahinter Rap (22%), EDM (20%) und Schlager (16%).
Merkwürdiges Frauenbild
Neonazis haben ein ambivalentes Verhältnis zu Frauen. In scheinbarem Gegensatz zu den oben genannten Bildern mit Sprüchen demonstrieren 52 Prozent aller Profile ihre ausgeprägte Heterosexualität durch das Liken von sexistischen Zoten, verpackt als „Männer Humor“. Auch Seiten, deren Postings „Fitness-Models“ oder „Echte Schönheiten aus dem Osten“ darstellen, stehen hoch im Kurs.
Mit der Auswertung der Neonazi-Leaks macht VICE eine Szene, aus der unverfälschte Einblicke eine Seltenheit sind, ein Stück transparenter.
Louis Koch
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