Vor einigen Tagen hatten wir uns bereits mit dem ersten Teil des sozialdemokratischen Zehn-Punkte-Plans auseinandergesetzt. Nun wollen wir auch noch die Ziele sechs bis zehn unter die Lupe nehmen, wobei sich die letzten drei explizit um Europa drehen.

Zehn Ziele für das moderne Deutschland – Ziel 6 bis 10

VI Familien entlasten, Gleichberechtigung von Frauen und Männern voranbringen

Dass Gleichberechtigung auch etwas mit dem Gehalt zu tun hat, versteht in Deutschland nicht jeder. Deswegen ist es löblich, dass die SPD die Lohngleichstellung von Mann und Frau explizit in ihren Plan mit aufgenommen hat. Erreichen will man die mit einem Gleichstellungsgesetz. Das sieht mehr Frauen in Führungspositionen, aber auch eine bessere Bezahlung von sozialen Berufen vor. Gerade für letzteres ist ein Tarifvertrag Sozialwesen geplant. Neben den klassischen Forderungen in der Bildungspolitik (mehr Kitaplätze) stellt die Partei eine konkrete Leistung vor: Das Familiengeld über 300 Euro im Monat soll die Familien entlasten. Dazu soll es noch einen speziellen Familientarif im Steuerrecht geben.
Die Anstrengungen, einen Kulturwandel in der Arbeitswelt herbeizuführen (Stichworte Homeoffice und „Abkehr vom Anwesenheitsdruck“), hören sich zwar schön an, werfen aber Fragen nach dem Verhältnis der SPD zu ihrer Wählerschaft aus der Arbeiterklasse auf.

VII Eine Bildungsoffensive starten

Um die Herkulesaufgabe der Bildungsreform anzugehen, fordert die SPD eine Nationale Bildungsallianz. Bildung soll nicht mehr Ländersache sein, auch dem Bund soll es möglich sein, sich z.B. mit Investitionen zu beteiligen. Dazu gibts mehr BAföG und generell eine Gebührenfreiheit von Anfang bis Ende.
Ein großes Vorhaben ist das Garantiepaket für alle, die „Schule machen“. Darin garantiert die Partei u.a. Ganztagsschulplätze, sanierte Klassenzimmer, digitale Bildung, genug Lehrpersonal und so fort. Dass sich diese Garantien in einer Legislaturperiode nicht erfüllen lassen werden, räumt man ein.

VIII Europa besser machen

Punkt acht widmet sich Martin Schulz‘ Herzensprojekt: Europa. Spätestens bis zum Brexit-Austritt 2019 will die SPD ein umfassendes Reformprogramm für Europa kreieren. Vor allem bei der Wirtschafts- und Währungsunion sieht Schulz Bedarf.
Interessant ist auch die Idee eines Investitionshaushalts für die Eurozone, der nationale Investitionsprojekte fördern soll. Damit hätte die SPD schonmal eine Finanzierungsstrategie für ihre Investitionspläne. Vor allem soll damit aber in Krisenländer investiert werden, um neben dem Schuldenabbau auch einem gesunden Wirtschaftswachstum einen Platz einzuräumen. Um diesen Forderungen eine zentrale Verwaltung zu geben, fordert die SPD einen europäischen Wirtschafts- und Finanzminister.
Weiterhin geht es darum, eine gerechte Unternehmensbesteuerung in der EU möglich zu machen. In den letzten Jahren brachten Firmen wie Apple oder Starbucks den Diskurs unfreiwillig ins Rollen, als bekannt wurde, dass die Konzerne dank einiger rechtlicher Schlupflöcher wenig bis keine Steuern in Europa zahlen.
Andere europäische Aufgaben, die die SPD angehen will, sind die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, europäische Mindestlohnstandards sowie die rechtliche Stärkung der EU-Institutionen.

IX Für eine solidarische Flüchtlingspolitik in Europa sorgen

Beim delikaten Wahlkampfthema Migration stellt die SPD gleich im ersten Satz klar: Man will den Menschen in Afrika und dem nahen Osten wieder eine Perspektive in ihren Heimatländern geben. Wer dennoch fliehen muss, soll aber solidarisch in der EU aufgeteilt werden. Solidarität ist das Stichwort. Darauf drängt die SPD, einerseits bei der Verteilung von Flüchtlingen, andererseits beim Finanzpakt. Deutschland, so Schulz, müsse in Zukunft etwas mehr zahlen, wer aber die europäische Solidarität verweigert, soll mit finanziellen Einbußen rechnen müssen. Ohne Namen zu nennen, schaut man hier deutlich in Richtung Ungarn, Polen und Tschechien. Fest hält man an dem Vorhaben, die Dublin-Regeln durch ein neues System zu ersetzen.
Generell setzen sich die Sozialdemokraten für ein einheitliches europäisches Einwanderungsrecht ein. Pikant wird es bei der Forderung eines Seenotrettungsdienstes einerseits, eines effektiven Grenzschutzes andererseits. Das Retten und das Abweisen menschenwürdig zu vereinen, wird eine große Herausforderung bleiben.

X Zu mehr Frieden in der Welt beitragen

Vom Kleinen zum Großen: In der idealen Zukunft wirkt ein geeintes Europa am Weltfrieden mit. Und das beginnt mit Abrüstung. Dabei stellt man klar, mehr Geld für die Bundeswehr kollidiere nicht mit einer globalen Abrüstungsstrategie. Den Jahresbeitrag an die NATO von zwei Prozent des BIP, an den Donald Trump die Eurostaaten letztlich erinnert hatte, hält die SPD für falsch. Für mehr Effizienz bei sinkenden Kosten plädiert die Partei für eine Europäische Verteidigungsunion und – vor dem Ausdruck scheut man sich nicht – eine europäische Armee.
Der Fokus liegt jedoch auf der Krisenprävention und humanitärer Hilfe. Deswegen stellt die SPD klar: „Für jeden Euro, den wir zusätzlich für Verteidigung ausgeben, werden wir mindestens 1,50 Euro in humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit investieren.“
Des weiteres will man Anstrengungen gegen den Klimawandel unternehmen, die Exporte von Kleinwaffen verbieten in Länder, die nicht der EU oder der NATO angehören und dank weiterer internationaler Handelsabkommen nach Vorlage von CETA den Welthandel etwas fairer machen.

Und nun?

Rein inhaltlich kann man gegen den Plan der SPD wenig aussetzen. Er schildert Probleme, mit denen sich über kurz oder lang alle Parteien auseinandersetzen werden müssen. Trotzalledem – der inbrünstige Wunsch, die „Schauen-wir-mal-dann-sehen-wir-schon“-Mentalität der Union durch eine energische Positionierung auszukontern, könnte auch nach hinten los gehen. Denn die Vorhaben, so nobel sie in der Theorie sind, haben alle eins gemeinsam: Sie dauern lange und sie kosten Geld. In den vier Jahren der nächsten Legislatur werden sich allerhöchstens gegen Ende die ersten positiven Effekte abzeichnen, mindestens genauso lange wird es noch einmal brauchen, um erste Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der Reformen ziehen zu können. Und ob das nicht gerade mutige Steuerkonzept der SPD wirklich dafür taugt, die geforderte Investitionsarmada zu finanzieren, ist äußerst fraglich.
Wandel braucht das Land, braucht Europa, braucht die Welt. Und ein Zukunfts-Deutschland wie das von der SPD Geschilderte ist sicher nicht das Schlechteste. Aber ob es den Widrigkeiten der Realität trotzen kann und ob der Partei diese idealistische Vollgas-Strategie bei den Wahlen im September helfen wird, sei dahingestellt.

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Louis Koch

Louis Koch

Redakteur bei appstretto
Louis studiert Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Er hat Spaß am Texten und Konzipieren, vor allem, wenn es um Politik geht. Bei appstretto ist er als Redakteur unter anderem für die Inhalte von wahl.de zuständig.
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