Es gab einmal eine Zeit, in der Notenbankern und Finanzpolitikern, Finanzmarktakteuren wie Anlegern der Angstschweiß auf der Stirn stand. Diesen Wochen der Unsicherheit, in denen die Finanzmärkte am Abgrund standen und der berühmte Schritt nach vorn jederzeit möglich erschien, sind wir nun schon lange enteilt. Also alles im Lot?

CC BY-SA 3.0 Wolfgang Pehlemann

Die Finanzmärkte sehen sich seit Beginn der Finanzkrise einer Welle aufsichtsrechtlicher Regulierungsbemühungen in noch nie dagewesener Intensität ausgesetzt. Um eines gleich vorweg zu schicken: Die „Finanzmärkte“, zumindest in ihrer heutigen Form, haben es wohl nicht anders verdient, als durch eine ordnungspolitisch ausgerichtete Regulierung wieder auf die rechte Bahn zurückgeführt zu werden. Zuviel ist in den zehn Jahren vor Ausbruch der Finanzkrise aus dem Ruder gelaufen. Besonders schwer wog dabei sicherlich die oftmals vollkommene Entkopplung von Risiko und Haftung, die schwerelos nebeneinander her zu schweben schienen.

„Jeder Finanzplatz, jeder Finanzmarktakteur und jedes Finanzprodukt“

So dachten viele, das Thema der Finanzmarktregulierung würde das zentrale Wahlkampfthema werden. Als SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück vor einem Jahr unter großen Beifall des gesamten linken Spektrums sein Konzept zur „Bändigung der Finanzmärkte“ vorstellte, schreckte er die Bundesregierung und Regierungsfraktionen gleichermaßen auf. Sogleich bemühten sich CDU/CSU und FDP mit Anträgen im Bundestag um die Rückgewinnung der Deutungshoheit, während Bundeskanzlerin Angela Merkel den Finanzpolitikern der Bundesregierung tatkräftiger denn je den G20-Kurs vorgab: Nicht weniger als jeder Finanzplatz, jeder Finanzmarktakteur und jedes Finanzprodukt müsse einer Regulierung unterworfen werden!

Gesagt – getan: So wurden allein unter schwarz-gelber Regentschaft über zwei Dutzend finanzpolitische Regulierungsvorhaben abgesegnet. Da werden das Eigenkapital der Banken gestärkt und Liquiditätskennzahlen eingeführt, Bankenabgaben erhoben und Finanztransaktionssteuern geplant, ganze Geschäftsbereiche abgespalten, Märkte und Gehälter eingegrenzt, Bankentestamente gefordert und Aufsichtsregime gestärkt. Einer breiten Masse bisher unbekannte Abkürzungen wie Basel III, EMIR, MiFID II, EZB und EBA wetteifern in der finanzpolitischen und medialen Beliebtheitsskala um die ersten Plätze. Führt man sich die schiere Anzahl der nationalen wie auch internationalen Regulierungen seit Beginn der Finanzkrise zu Gemüte, könnte man sich tatsächlich schon auf der sicheren Seite wähnen.

Regulierung ist kein Selbstzweck

Doch lassen sich Auswirkungen der Regulierungsvorhaben im Detail ex-ante tatsächlich abschätzen oder muss sich die Finanzpolitik in der Komplexität verlieren? Hatte der Gesetzgebungsprozess Basel I in den neunziger Jahren noch einen Umfang von 100 Seiten, sind es aktuell bei Basel III schon mehrere tausend Seiten und insgesamt geschätzte 60.000 Seiten Gesetzestexte, denen sich die Finanzbranche aktuell gegenüber sieht. Versuche, dieser Komplexität der Finanzmarktregulierung im politischen Geschäftsbetrieb mit scheinbar einfachen Regulierungsansätzen zu begegnen, scheitern schnell an der Realität. So benachteiligt zum Beispiel das verlockend klingende Konzept der Leverage Ratio, einer von Risikogewichtung unabhängigen Schuldengrenze für Banken, anscheinend eher das risikoärmere Kreditgeschäft gegenüber risikoreicheren Geschäftsmodellen. Grundsätzlich sinnvolle höhere Eigenkapitalquoten auf risikogewichteter Basis sind wegen unterschiedlichster Risikomodelle und Bilanzierungsstandards nur noch schwer vergleichbar. Und die Beteiligung der Finanzbranche an den Krisenkosten durch die Einführung einer Finanztransaktionssteuer beeinträchtigt den Repomarkt und damit den Liquiditätsausgleich unter den Geschäftsbanken, ein Markt, den selbst eingefleischte Finanzpolitiker vorher nicht auf der Agenda hatten.

Und wie sieht es mit etwaigen Wechselwirkungen der Gesetzgebungsprozesse untereinander aus? „Regulierung ist kein Selbstzweck, denn Kosten und Nutzen der geplanten Maßnahmen, einschließlich ihrer Neben- und Wechselwirkungen, müssen gegeneinander abgewogen werden. […] Und manche Auswirkung fällt nicht sofort ins Auge, ist aber durchaus brisant.“ Angesichts der Schätzung, dass die Summe aller aktuellen Regulierungsvorhaben allein die deutsche Bankenbranche mit bis zu 8 Mrd. Euro pro Jahr belasten könnte, überraschen solche Kommentare wenig, wenn sie von der betroffenen Branche kommen würden. Doch fiel dieser warnende Satz auf dem Sparkassentag 2013 in Dresden und gesagt hat ihn Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Also anscheinend doch nicht alles im Lot!

Brauchen wir also ein Regulierungsmoratorium?

Nein, die Komplexität der Finanzmarktregulierung darf sicherlich nicht als Argument für einen Regulierungsstopp missbraucht werden. Es sollte aber darauf geachtet werden, dass die Kosten der Regulierung den Nutzen nicht übersteigen, ansonsten werden letztlich Institute und somit die Realwirtschaft und nicht zuletzt der Verbraucher die Kosten zu tragen haben.

Auch sollte sich die Finanzpolitik eingestehen, dass es keine einfachen Lösungen für die anstehenden Probleme gibt, und folglich dies dem Wähler nicht suggerieren, weder in Regierungs-, noch in Wahlkampfzeiten. Dafür sind die Finanzmärkte zu komplex und die Anzahl derer, die sie wirklich verstehen, eher überschaubar. Deshalb ist ein verstärkter Dialog der Regulierer mit der Finanzbranche unumgänglich. Um der Komplexität zu begegnen und tragfähige Lösungen zu entwickeln, brauchen wir mehr Kommunikation, nicht etwa weniger, wie es allerorts von den Regulierern als Konsequenz aus der Finanzkrise gefordert wird.

Aber vielleicht hat die wahlkämpfende Politik dies unbewusst auch schon längst realisiert, denn anscheinend hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass ohne akute Bankenkrise ein Thema, das so schwer vermittelbar ist, nicht zu den Gewinnerthemen gehört – selbst mit diesem SPD-Kanzlerkandidaten. Wer hätte das noch vor einem Jahr gedacht!

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Heiko Weiß

Heiko Weiß

Seit 15 Jahren ist Heiko Weiß in der Berliner Public Affairs-Branche unterwegs. Nach einigen Jahren in der wehrtechnischen Verbandslandschaft ist er zu seinem Studienschwerpunkt zurückgekehrt. Heute verantwortet er den Bereich Financial Services (Public Affairs) bei FleishmanHillard in Deutschland.
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