Mobilisierung ist das Stichwort der Stunde – auf der Straße, in den Briefkästen, im Netz und an den Türklingeln der Nation. Angeleitet von der neuen amerikanischen Wahlkampfphilosophie des „Je direkter, desto erfolgreicher“ haben die deutschen Parteien den Dialog mit der Basis zum Kern ihres Wahlkampfhandelns erkoren. Das Mantra: Über den direkten Kontakt zum Wähler werden heute Wahlen entschieden, nicht mehr in Talkshows, mit netten Plakaten und schönen Bildern allein. Die Basis ruft, so scheint es. Aber ruft sie wirklich? Man darf Zweifel anmelden, wenn man sich die düsteren Zahlen der jüngsten Nichtwählerstudie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) anschaut.
Bild: CC BY-SA 3.0 Niemayer
In keiner anderen westlichen Demokratie – mit Ausnahme Portugals – ist die Zahl der Wahlverweigerer in den vergangenen drei Jahrzehnten so stark gestiegen wie in Deutschland – um ganze 18,3 Prozent. Über die Gründe für die niedrige Wahlbeteiligung wird seit Jahren munter diskutiert. An Reformvorschlägen mangelt es nicht. Von der Wahl am Werktag über die Herabsenkung des Wahlalters bis hin zum Wahlzwang. All diese Ideen mögen Linderung versprechen. Allzu häufig wird aber übersehen, welcher der eindeutigste Grund für die Wählermüdigkeit ist: die fehlende Polarisierung.
Dazu sei angemerkt: Zu Recht feiern wir in Deutschland unsere neue Sachlichkeit. Emotionen sind etwas für Wutbürger, aber Politik, das sollte sachliche Debatte über rationale Probleme sein. Ideologische Grabenkämpfe – das ist historisch nicht von der Hand zu weisen – haben uns nicht gerade weitergebracht. Möchte man ja auch nicht: dieses manichäische Schwarz-Weiß-Denken, das Wir gegen die Anderen, eine Freund-Feind-Politik à la Carl Schmitt. Aber genau dieser Hang zur neuen Sachlichkeit öffnet der Strategie der asymmetrischen Demobilisierung Tür und Tor.
Hier stoßen wir auf eines der großen Dilemmata unserer Demokratie. Sie braucht Emotionen, Vereinfachung, Polarisierung, Lust auf Streit und verdichtete Weltbilder. Aber genau diese Eigenschaften lähmen Demokraten in ihrem Handeln. Exemplarisch ist dies am Beispiel der USA zu sehen. Dort ist die Wahlbeteiligung laut FES-Studie im untersuchten Zeitraum nur um 2,5 Prozent gefallen. Es geht dort bei Wahlen buchstäblich um Alles oder Nichts, um gut oder böse, so hat man den Eindruck. Wahlkämpfe sind echte Mobilisierungsschlachten, die Unmengen von Geld verschlingen. Aber: Politik war in den Vereinigten Staaten selten so wenig handlungsfähig wie heute, der Kongress noch nie so wenig angesehen beim Bürger.
Was tun? Polarisierung hat in Deutschland keinen Boden. Unserer Gesellschaft sind schlicht und einfach die massenmobilisierenden Konfliktlinien abhanden gekommen. Das mag man loben. Für die Wahlbeteiligung ist die fehlende Leidenschaft Gift – im Übrigen auch für die vielen freiwilligen Helfer, die in den kommenden Monaten im Netz und an den Haustüren der Republik den Kontakt zu uns, dem Wähler, suchen werden.
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