Wie werden Europawahlen außerhalb Europas wahrgenommen? Zum Beispiel in China, Deutschlands wichtigstem Handelspartner in Asien? Eines vorweg: Niemand kennt Juncker oder Schulz in China. Auch die EU wird als Institution kaum wahrgenommen. Wenn, dann interessiert Peking nur, was Merkel (auf Chinesisch MoKeEr) denn nun von diesem unbekannten Kandidaten Juncker hält. Was China interessiert, ist die Entwicklung des Euros. Und hier schauen die Chinesen besonders auf Deutschland – Chinas Tor nach Europa. Die Europawahl? Sie fand für die Chinesen schon letztes Jahr statt – als Bundestagswahl. Für die Chinesen ist klar: Die Zukunft des Euros und die wesentliche Europapolitik wird nicht in Brüssel, sondern in Berlin bestimmt.

Bild: Cover Modern Weekly

Xi Jinping und die Reise in den Westen

Wie eng die politische Verbindung Deutschland-China ist, hat der Europa-Besuch von Präsident Xi Jinping Ende März gezeigt. Die Reise wurde in den chinesischen Medien als beispielloser außenpolitischer Meilenstein Chinas gefeiert:

Die chinesisch-europäischen Beziehungen werden Tag für Tag enger

Es war mehr als nur der erste Besuch eines chinesischen Präsidenten seit acht Jahren, denn Präsident Xi besuchte neben den Pandas im Brüsseler Zoo erstmals EU-Institutionen. Doch die Details lassen erkennen, dass die Einflugschneise der Chinesen für Europa ganz klar in Deutschland liegt.

Seidenstraße 2.0 — Verlängerung nach Deutschland?

Wirtschaftlich ist es schon lange kein Geheimnis mehr, dass Deutschland Chinas wichtigster Handelspartner in Europa ist. Die Zahlen sprechen für sich: Rund 30% des China-EU-Handels entfallen allein auf Deutschland. Und wie sieht es mit den Themen der Europawahl abgesehen von der Euro-Rettung aus? Bei den wichtigsten Zukunftsthemen wie Industrie 4.0 und nicht zuletzt bei der Energiewende spielt Deutschland ganz vorne mit. Das kommt auch in China an.

Es gibt aber noch andere Anzeichen, die für die hohe Relevanz der deutsch-chinesischen Beziehungen für Europa stehen. Ein wirtschaftspolitischer Meilenstein ist die Eröffnung der ersten chinesischen Handelskammer in Berlin Anfang dieses Jahres. Das Besondere: Es ist die erste chinesische Handelskammer in Europa überhaupt. Etwas untergegangen ist eine weitere finanzpolitische Meldung, die fast noch wichtiger ist: Der bisher nicht frei handelbare Yuan wird demnächst an der Frankfurter Börse gehandelt. Das ist nicht nur das erste derartige Handelszentrum im Euro-Raum, es ist die bisher einzige derartige Drehscheibe außerhalb Asiens.

„Die Mutter Europas in unsicheren Zeiten“

Präsident Xi benannte kürzlich in seiner Rede einige deutsch-chinesische Gemeinsamkeiten. Deutschland sei Motor und Stabilitätsanker der Wirtschaft Europas. Fleiß, Ausdauer, Bescheidenheit und Gewissenhaftigkeit seien Eigenschaften, die China und Deutschland miteinander gemeinsam hätten. Merkel ist dafür das Sinnbild. In China mag man ihren Politik-Stil. Unlängst hat das chinesische Magazin „Modern Weekly“ (vergleichbar mit dem„Stern“) seine Titelstory Merkel gewidmet: „Europas Mama in unvorhersehbaren Zeiten“. Sie habe ein politisches Denken und die eiserne Faust, die es brauche, um wilde Ambitionen und Vorsicht auszubalancieren. Im Artikel heißt es:

Keiner weiß, welches Land außer Deutschland Europa führen könnte, welche andere als Merkels Lösung den Euro vor dem Kollaps bewahren kann.

Merkel avanciert in den chinesischen Medien zur „Mutter der Europäer“, die Deutschland sowie Europa zielsicher durch die Krise führt und dies auch in Zukunft tun wird.

Was möchte China mit seiner Annäherungspolitik erreichen?

China geht in ganz Europa einkaufen und Deutschland führt die Wunschliste chinesischer Investoren an. Chinesen begnügen sich nicht mehr nur damit Audi oder BMW zu fahren, sondern wollen sich das Label „Made in Germany“ am liebsten selbst auf die Fahnen schreiben und vom guten Ruf profitieren. Kommunikation „auf Augenhöhe“ und Respekt gegenüber der chinaspezifischen Entwicklung stehen daher ganz oben auf der Agenda Pekings. Dazu gehört auch ein differenzierteres und positiveres China-Bild in den Medien. Abgesehen davon hofft China auf weiteren Know-how-Transfer sowie auf eine Freihandelszone mit der EU. Deshalb wird China das politische Geschehen in Europa genau beobachten. Bei der Europawahl wird besonders das deutsche Wahlergebnis von Interesse sein. Dabei kann man davon ausgehen, dass Wahlen „in“ Europa in China zwar ein Thema sind, „Europawahlen“ dagegen eher weniger. Das hat auch damit zu tun, dass Chinesen sehr nationalstaatlich denken. Das Konzept der EU als solches für sie deutlich weniger greifbar als das eines Nationalstaates. Aber das geht ja mitunter auch Europäern so. Für die Chinesen ist vor allem eines klar: Deutschland beeinflusst die Geschicke der EU wie kein zweites Land. Was also letztendlich für China zählt, ist „Mama MoKeEr“.

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Fabiola Kunkel

Fabiola Kunkel

Fabiola Kunkel ist Trainee bei ergo Kommunikation. Seit November 2013 ist sie als China-Expertin im Team Public & Corporate Affairs tätig. Die Kultur-und Kommunikationswissenschaftlerin hat mehrere Jahre in China gelebt und war dort unter anderem in der interkulturellen Beratung tätig.