Wie schon der letzte Bundestagswahlkampf so wird auch die Kampagne 2013 von der Debatte begleitet was die Parteien von der jüngsten Obama-Kampagne lernen können. Diese Debatte konzentriert sich besonders auf die Rolle von digitaler Technik in Wahlkämpfen. 2009 bestimmte die deutsche Diskussion um die Nutzung digitaler Werkzeuge in Wahlkämpfen die Social Media Nutzung der Obama-Kampagne. 2013 scheint sich die Diskussion fast ausschliesslich auf die datenbasierte Wähleransprache der Obama-Kampagne zu konzentrieren.

Beide dieser Lesarten des Erfolgs der Obama-Kampagnen greifen jedoch zu kurz. Beide konzentrieren sich auf die Verwendung einzelner digitaler Techniken oder Werkzeuge ignorieren dabei jedoch die Prozesse und Organisationsstrukturen, die diese erfolgreiche Verwendung erst möglich machen. Schon 2005 schrieb Matthew Hindman in einem Artikel über die wahren Lektionen der Kampagne Howard Deans, das Internet böte Kampagnen verstärkt die Chance, ihr back end, also ihre Infrastruktur, zu verbessern. Hindman verwies dabei auf die Chancen des Internets, zusätzliche Spenden zu generieren, potentielle Wähler gezielter anzusprechen und die Organisation von freiwilligen Helfern zu unterstützen.

Diese Lektionen hat die Obama-Kampagne gelernt und den Internetverantwortlichen eine zentrale Rolle in der Kampagnenstruktur zugeteilt, so dass diese traditionelle Kampagnenbereiche wie Fundraising oder Wählermobilisierung gezielt unterstützen konnten. Grundsätzlich ging es der Kampagne hierbei immer darum, Aktivität und Interesse online in Aktivität oder Ressourcen offline umzuwandeln. Ein Besuch der Webseite des Kandidaten könnte so zu einer Spende führen, eine Spende zum Besuch einer Wahlkampfveranstaltung, der Besuch einer Wahlkampfveranstaltung zur aktiven Unterstützung des Kampagnenteams vor Ort. Der Kampagne ging es also nie nur um die Steigerung ihrer Onlineinteraktionszahlen sondern immer darum, Onlinekontakte in Wählerstimmen oder Kampagnenressourcen umzuwandeln.

Die erfolgreiche Nutzung digitaler Technik durch die Obama-Kampagne zeigt sich also nicht in den Facebook-Zahlen des Kandidaten, sie zeigt sich in der vollständigen Integration digitaler Werkzeuge und Arbeitsprozesse in der Organisation der Kampagne und befreundeter Organisationen, seien diese Kampagnen anderer demokratischer Kandidaten, Gewerkschaften oder verschiedener Non-Profits. Daniel Kreiss beschreibt diesen langwierigen Prozess in seinem Buch Taking Our Country Back. Dieser Kulturwandel zeigt sich am stärksten in zwei Elementen: einem Wandel in der Kampagnenführung und Evaluation, weg von anekdotenhaften Expertenwissen hin zu quantitativ messbaren Kennzahlen on- und offline (siehe hierzu The Victory Lab von Sasha Issenberg) und der starken Betonung des Trainings und der Weiterbildung von Freiwilligen an digitalen Werkzeugen und klassischen Kampagnentechniken durch eigens dafür eingerichtete Organisationen (z.B. durch das New Organizing Institute).

Diese Änderungen gehen also deutlich weiter als die kreative Nutzung des einen oder anderen digitalen Werkzeugs. Die Demokraten in den USA haben das Internet in der Struktur ihrer politischer Organisationen und in ihre alltägliche Kampagnenführung eingebunden. Diese Änderungsprozesse zu ignorieren und nur auf die kreative Nutzung einiger digitaler Spielzeuge zu schauen bedeutet die eigentliche Rolle des Internets in diesen Kampagnen misszuverstehen.
Wie sieht nun die Einbindung des Internets in die Kampagnen der beiden großen Parteien in Deutschland aus?

CDU setzt auf Symbolik hoher Unterstützerzahlen

Die CDU/CSU startet aus einer Position der vermeintlichen Stärke: die Zustimmungswerte der Kanzlerin sind hoch und geben kein Zeichen, demnächst zu fallen. Auch die Umfragewerte der Partei sind seit Wochen stabil. Im Internet ist die größte Stärke der Partei das Facebook-Profil von Angela Merkel. Hierüber kann die Partei theoretisch deutlich über 300.000 Fans und deren Facebook-Kontakte erreichen. Dementsprechend scheint der Fokus der Kampagne darin zu liegen, eigens für die Kampagne produzierte Inhalte auf Facebook zu stellen, um so über die Fans die Inhalte weiter zu verbreiten. Das Hauptaugenmerk der CDU-Kampagne liegt hier scheinbar auf You-Tube Videos, die unter dem Label CDU-TV in einem eigens im Konrad-Adenauer-Haus eingerichteten Studio produziert werden. Inwieweit dieser Ansatz aufgeht bleibt abzuwarten. Die Zugriffszahlen aller CDU-TV Videos bleiben jedenfalls weit hinter den Fanzahlen des Facebook-Profils zurück. Der weitere Verlauf der Kampagne wird zeigen, ob es der Kampagne gelingen wird, die Angela Merkels Facebook Fans stärker für ihre Social Media Materialien zu interessieren und vielleicht auch in der Kampagne zu aktivieren.

Vergleicht man diesen Ansatz der CDU mit dem oben beschriebenen – durch die Obama-Kampagne angestossenen Kulturwandel – so wird hier ein anderer Weg gewählt: Die CDU setzt auf einen Automatismus. Die Erwartung ist, dass sich die Popularität ihrer Spitzenkandidatin in die Popularität von Onlineangeboten und letztlich auch Wählerstimmen überträgt. Der Moment der Stärke wird nicht genutzt, um eine tragfähige digitale Infrastruktur für die laufende Bundestagswahl aber auch für die darauf folgenden Landtagswahlkämpfe zu etablieren. Stattdessen hofft man, dass die Symbolik hoher Unterstützerzahlen online in die Berichterstattung der traditionellen Medien überschwappt und darin zur Illustration des Momentums der CDU-Kampagne genutzt wird.

SPD investiert in digitale Infrastruktur

Die SPD startet im Vergleich hierzu aus einer schwachen Position. Die Zustimmungswerte ihres Spitzenkandidaten Peer Steinbrück sind niedrig. Auch die Umfrageergebnisse sehen die SPD weit hinter den Unionsparteien. Vor diesem Hintergrund scheint es für die Kampagne wenig erfolgsversprechend, sich auf ein Wettrennen um Social Media Kontaktzahlen zwischen Peer Steinbrück und Angela Merkel einzulassen. Stattdessen liegt der digitale Schwerpunkt der SPD Kampagne auf der Entwicklung der Kampagnen-Plattform mitmachen.spd. Diese Plattform soll Freiwillige vor Ort im Tür-zu-Tür Wahlkampf unterstützen. Im Unterschied zu Unterstützerplattformen aus anderen Wahlkampf-Saisons (z.B. teAM Deutschland, Wahlkampf 09 u.a.) versteht sich die Plattform weniger als ein Ort an dem Unterstützer gesammelt und pressewirksam gezählt werden sondern als ein Werkzeugkasten, der die Kampagne im Wahlkreis effektiver gestalten soll.

Es fällt leicht, die mitmachen.spd Plattform abzutun. Schließlich bietet sie nach außen hin wenig spannende technischen Innovationen. Auch ist ihr Erfolg im laufenden Bundestagswahlkampf nicht sicher. Schließlich setzt der Erfolg eines Wahlkampfwerkzeugs voraus, das Unterstützer überhaupt Wahlkampf machen wollen. Aber dennoch, die Konzeption der Plattform ist ein Zeichen dafür, dass die SPD auf dem Weg ist, digitale Werkzeuge verstärkt als Unterstützung der Infrastruktur ihrer Organisation und ihrer Kampagnen zu verstehen. Die SPD investiert in einer Zeit struktureller Schwäche in digitale Infrastruktur anstelle sich in der pressewirksamen Nutzung einiger Social Media Kanäle zu verlieren. Die Rendite dieser Investition muss übrigens nicht die Bundestagswahl bringen. Wenn diese technischen Investitionen in den kommenden Monaten durch einen Kulturwandel in der Arbeit der Partei an der Basis und in ihren Strukturen verbunden ist, dann verfügt die SPD in den kommenden Landtagswahlkämpfen über einen unter Umständen entscheidenden Kampagnenvorteil gegenüber der CDU.

Social Media-Symbolik vs. Wahlkampf-Werkzeug

„Technik wird sozial dann spannend wenn sie technisch langweilig wird"

stellte Clay Shirky 2008 in seinem noch immer lesenswerten Buch Here Comes Everybody fest. Das gilt auch für die Rolle des Internets in Wahlkämpfen. Anstelle immer nur darauf zu schauen welche Kampagne das neueste digitale Werkzeug am spannendsten einsetzt sollte man viel stärker diskutieren wie und mit welchem Erfolg Parteien digitale Technik und Werkzeuge in ihren alltäglichen Kommunikationsprozess einbinden, ihre Mitglieder an ihnen schulen und letztlich dafür nutzen, am Wahlsonntag Stimmen zu sammeln. Sprich: es kommt darauf an welchen Parteien es gelingt, das Internet und digitale Werkzeuge als Teil der Infrastruktur ihrer Kampagnen und ihrer politischer Organisationen zu nutzen. Denn das Zeichen eines erfolgreichen Wahlkampfs ist nicht, die spannendste oder kreativste Kampagne zu machen. Das Zeichen eines erfolgreichen Wahlkampfs ist es am Tag nach der Wahl die meisten Stimmen zu haben und zu Koalitionsgesprächen einladen zu können.

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Andreas Jungherr

Andreas Jungherr

Andreas Jungherr ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Soziologie an der Universität Bamberg. Dort forscht er über die Rolle des Internets in der politischen Kommunikation und in Wahlkämpfen. Zusammen mit Harald Schoen ist er Autor des Buches Das Internet in Wahlkämpfen: Konzepte, Wirkungen und Kampagnenfunktionen (2013).
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