Nächsten Sonntag steht in Hamburg die vorgezogene Wahl zur Bürgerschaft an und läutet ein Jahr mit sechs weiteren Landtagswahlen ein. Dabei ist die hanseatische Abstimmung eine der spannendsten. Zwar ist das Wahlergebnis absehbar, doch birgt Hamburg im Bereich des Online-Wahlkampfes ein riesiges Potential.

Hamburg bietet – verglichen mit der Bundesrepublik und den anderen 15 Bundesländern – die vielleicht besten Voraussetzungen für einen internetgestützten Wahlkampf sowie eine dauerhafte, direkte Wählerkommunikation. Dieses Potential resultiert aus vielerlei Faktoren, die Hamburg zu bieten hat. Angefangen bei der Bevölkerungsstruktur über die Nutzung moderner Kommunikationsmittel bis hin zur Infrastruktur.

Wir sind viele*

Von den über 1,77 Millionen Einwohnern Hamburgs sind über 425.000 (also ca. 24 Prozent) zwischen 18 und 34 Jahren alt, eine recht große Zielgruppe für eine Wähleransprache im Netz. Schließlich nutzt diese Altersgruppe fast gänzlich das Internet als Informations- und Lebensraum. Darüber hinaus sind die Hamburger auch gut gebildet, was eine stärkere Online-Aktivität vermuten lässt: Insgesamt 513.000 Hamburger haben die Hochschulreife (davon sind 220.000 zwischen 15 und 34 Jahre alt) und 239.000 einen Hochschulabschluss.

Stadt der Reichen*

Eine der wichtigsten Aufgaben einer Online-Kampagne im Wahlkampf ist das sammeln von Spenden. Auch in diesem Bereich bietet Hamburg eine große Zielgruppe. Von den ca. 880.000 Beschäftigten betrug der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst 2009 3.921 Euro. Im Vergleich zur gesamten Bundesrepublik mit 3.456 Euro ist das überdurchschnittlich. Das begründet auch Hamburgs Spitzenposition im Vergleich mit den anderen Bundesländern.

Heute ist es möglich auch viele Kleinspenden ab fünf Euro zu sammeln, statt nur wenige größerer Spender anzusprechen. Die Kampagne kann einzelne Spendenaufrufe mit eigenen Wahlkampfaktionen verknüpfen, online dokumentieren und die Unterstützer direkt in die politische Arbeit mit einbinden. Um den Erfolg der Spendenaktionen zu sichern, sollte man sich nicht allein auf den Wahlkampfstand setzen, sondern auch digitale Kommunikationskanäle nutzen.

Digital ist besser*

Auch deshalb kommt man nicht an den großen Sozialen Netzwerken vorbei. Hier kann man seine Informationen verteilen, auf Aktionen verweisen und mit dem Wähler kommunizieren. Darüber hinaus können die eigenen Unterstützer die Inhalte der Parteien und Kandidaten weiter transportieren und unter den eigenen Freunden und Bekannten streuen.

Als solch eine Plattform bietet sich zum Beispiel Facebook an. Schließlich misst das Social Network nach eigenen Angaben fast 500.000 aktive Accounts in Hamburg. Anscheinend Grund genug, dass nun alle fünf großen Parteien in Hamburg hier mit einer Fanseite vertreten sind.

Auch Xing mit seinen über drei Millionen Mitgliedern in Deutschland würde sich als Wahlkampfplattform, zumindest für die Kandidaten zur Bürgerschaftswahl, anbieten. Bei der letzten zugänglichen Erhebung über die regionalen Nutzerzahlen (viertes Quartal 2009) war Hamburg das Bundesland mit der höchsten Nutzerdichte.

Was ist hier los*

Neben einer Aufbereitung der parteieigenen Inhalte für die Social-Media-Plattformen lohnt sich auch die Überlegung eines speziellen Angebots für Smartphones (zum Beispiel für iPhone und Android). Die Möglichkeiten für mobile Anwendungen im Wahlkampf sind vielzählig: Von der Argumentationshilfe für verschiedene Wahlthemen über Kandidatenportraits können dem Nutzer auch Informationen darüber angezeigt werden, wo in seiner direkten Nachbarschaft gerade Aktionen stattfinden. Auch wäre die Wahlkampfkoordinierung zwischen Parteimitgliedern, aber auch Unterstützern, eine sehr nützliche Funktion für eine Kampagne.

Ob Hamburg auch im Bereich der mobilen Kommunikation eine Vorreiterrolle einnimmt, kann man nur vermuten. Nach Angaben der BITKOM wurden 2010 in Deutschland über sieben Millionen neue Smartphones erworben und 755 Millionen Apps herunter geladen. Bei den Google-Anfragen der letzten zwölf Monate wurden die Begriffe "iPhone", "Android" und "HTC" im Bundesvergleich in Hamburg besonders häufig gesucht. Die iPhone-App von hamburg.de wurde nach eigenen Angaben in den ersten drei Wochen über 70.000 mal geladen.

Landungsbrücken raus*

Natürlich bedarf es auch kundige Lotsen, die der Politik zu den neuen Möglichkeiten eine Brücke bauen . Also fachkundige Menschen, die wissen, mit welchen Mitteln sich die bestmöglichen Resultate für eine digitale Kampagne erzielen lassen. Dieses Know-How ist in Hamburg auf jeden Fall vorhanden. Freenet, HanseNet (Alice) oder die Firmenrepräsentanzen von Google, Facebook, Adobe und IBM – sie alle haben ihren Sitz in Hamburg. Zu den großen Namen tummeln sich noch ca. 7.000 weitere Unternehmen im hanseatischen IT-Sektor (Stand 2006), die sich unter anderem auf Multimedia oder Softwareberatung spezialisiert haben.

Wie ein Planet*

Hamburg bietet durch seinen Stadtstaatcharakter einige Vorteile, die Flächenländer niemals bieten können. So gibt es zum Beispiel bei der Ansprache von Unterstützern über das Netz kaum Streuverluste. Schließlich kann man in Hamburg überall schnell vor Ort sein: Die Durchquerung des gesamten Bundeslandes dauert mit den öffentlichen Verkehrsmitteln maximal 01:30 Stunde, mit dem eigenen Auto (bei freier Fahrt) etwa 60 Minuten. Wenn also eine Partei in Hamburg zu einer Wahlkampfaktion aufruft, spricht diese nahezu alle "Fans" an. Wenn in Baden-Württemberg eine Partei für die Teilnahme an einer Wahlkampfrede in Freiburg im Breisgau im Sozialen Netz wirbt, ist das für einen Unterstützer in Stuttgart ziemlich irrelevant, selbst mit neuem Bahnhof.

Ansonsten scheint auch die digitale Infrastruktur in Hamburg die besten Voraussetzungen für eine Online-Kampagne zu bieten. Nach dem Breitbandatlas der Bundesregierung ist in der Hansestadt nahezu in jeder Straße DSL mit 16 MBit/s verfügbar und in vielen Vierteln sogar über 50 MBit/s. Das ist besonders wichtig, weil nur mit einer schnellen und stabilen Internetanbindung aufwendige Online-Anwendungen, wie zum Beispiel Internet-Videos, möglich sind. Auch für die Nutzung des mobilen Internets mit Smartphones scheint Hamburg gut gewappnet zu sein. Nach den eigenen Angaben der vier großen Netzbetreiber sind in nahezu ganz Hamburg die schnellen Standards UMTS und HSDPA verfügbar.

Wenn ich realistisch bin*

Natürlich werden hier nur Richtwerte und Schätzungen beschrieben, doch veranschaulichen sie die grundsätzlich sehr gute Ausgangslage für erfolgreiche Online Kampagnen. Ob diese Möglichkeiten genutzt werden, entscheiden einzig und allein die Parteien selbst. Vor allem muss aber der Wille da sein, eine langfristige Wählerbindung und offene Dialoge im Internet aufzubauen. Mit einer vierwöchigen Kampagne können politisch keine langfristigen Erfolge verbucht werden.

In unserem letzten Beitrag haben wir versucht die Ausgangslage der Hamburger Parteien zu bewerten und sind diesbezüglich zu einem eher skeptischen Urteil gelangt. In ein paar Tagen werden wir einen weiteren Blick in den hanseatischen Internet-Wahlkampf werfen und schauen, was sich getan hat.

*Anmerkung des Autors: Ich konnte nicht widerstehen und der fantastischen Musik der Hamburger Schule frönen. Die einzelnen Zwischenüberschriften stammen von folgenden Bands und Alben: "Wir sind viele" von Tocotronic auf "Kapitulation", "Stadt der Reichen" von Die Sterne auf "24/7", "Digital ist besser" von Tocotronic auf "Digital ist besser", "Was ist hier los" von Die Sterne auf "Das Weltall ist zu weit", "Landungsbrücken raus" von Kettcar auf "Du und wieviel von deinen Freunden", "Wie ein Planet" von Tomte auf "Heureka" und "Wenn ich realistisch bin" von Die Sterne auf "Räuber und Gedärm".

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wahl.de Redaktion

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