wahl.de spricht mit den Kampagnenverantwortlichen der Parteien über ihre Strategien zur Europawahl. Was hatten sie im Netz geplant, wie präsentieren sie ihre Kandidaten und wie arbeiten sie mit den Parteien auf europäischer Ebene zusammen? Nach Robert Heinrich von den GrünenMatthias Höhn von DIE LINKEOliver Röseler von der CDUChristophe Chan Hin, Kampagnenleiter der Piratenpartei und der Generalsekretärin der FDP, Nicola Beer, haben wir im letzten Teil unserer Interviewserie mit dem SPD-Kampagnenleiter Matthias Machnig gesprochen. 

Genralsekretärin Yasmin Fahimi mit Martin Schulz und Matthias Machnig bei der SPD-Kampa-Eröffnung 

wahl.de:
Herr Machnig, wie lief der Wahlkampf aus ihrer Sicht bis jetzt?

Matthias Machnig:
Sehr gut. Martin Schulz macht einen großartigen Wahlkampf. Er hat in den vergangenen Wochen mehr als 20 Länder besucht. Insgesamt hatte Martin Schulz Wahlkampftermine an 150 Orten und auch seine mediale Präsenz ist enorm. Die SPD ist in einem hohen Maße mobilisiert und bei der Frage, wen wollen Sie als Kommissionspräsidenten, sprechen sich immer mehr für Martin Schulz aus. Selbst konservative Medien attestieren der CDU, dass sie orientierungslos im Europawahlkampf sei und keinen Plan für die Zukunft dieses Kontinents habe. Vielleicht ist das auch ein Grund, weshalb sie ihren Kandidaten versteckt.

wahl.de:
Glauben Sie, dass die Wähler überhaupt verstehen worum es am Sonntag geht? Und was tun Sie als SPD dafür, um es den Wählern zu erklären?

Wir wollen jemanden zum EU-Kommissionspräsidenten machen, der aus Deutschland kommt.

Matthias Machnig:
Wir haben bereits sehr viel dafür getan, denn wir zeigen, dass wir jemanden zum EU-Kommissionspräsidenten machen wollen, der aus Deutschland kommt: Martin Schulz. Das stellen wir ins Zentrum dieses Wahlkampfes. Und anstatt ihn zu verstecken, zeigen wir unseren Kandidaten auf Plakaten, im Internet und in Videos. Das wird eine Schlüsselfrage sein. Immer mehr Menschen werden sich darüber bewusst, dass am Sonntag erstmalig die Entscheidung darüber getroffen werden kann, wer Kommissionspräsident wird. Das kann Europa neue Impulse geben. Impulse, die dieses Europa auch dringend braucht.

Die wichtigste Botschaft in diesem Wahlkampf ist Martin Schulz und die Personalisierung.

wahl.de:
Mit Blick auf den Wahlkampf selbst. Was ist die Innovation des Europawahlkampfes der SPD?

Matthias Machnig:
Die wichtigste Botschaft in diesem Wahlkampf ist Martin Schulz und die Personalisierung des Wahlkampfes.

Den Medien sind die Kommunikationskanäle wichtiger als der Content.

wahl.de:
Zur Bundestagswahl galt ihr Portal mitmachen.spd.de als die Innovation und Investition in eine digitale Infrastruktur für Wahlkämpfe. Hat sich die Investition gelohnt und wie wird es im Europawahlkampf genutzt? 

Matthias Machnig:
Ja, wir nutzen das Instrument und es lohnt sich. Hier melden sich viele Freiwillige, die von uns Informations- und Kampagnenmaterial erhalten. Ich finde es aber wichtiger, mehr über Personen und Inhalte zu reden als über Instrumente. Ich habe den Eindruck, dass manchen Medien die Kommunikationskanäle wichtiger sind als der Content, der aus Personen, Programm und Partei besteht. Wir haben versucht, im Europawahlkampf den Content in den Vordergrund zu stellen und das halte ich auch für richtig. Alles andere ist Wahlkampfmystifizierung.

wahl.de:
Da sich unser Blog hauptsächlich mit Wahlkampfinstrumenten beschäftigt, werden wir aber dennoch weitere Fragen hierzu stellen.  

Matthias Machnig:
Ja, aber natürlich. Das ist mir ja klar und es ist auch in keinster Weise als Vorwurf gemeint. Ich möchte es nur einmal zurechtrücken. Mir ist es in Interviews häufig begegnet, dass ich mehr zur Bedeutung des Internets oder von Plakaten befragt wurde als zu Inhalten oder Personen. Ich möchte wieder dahin kommen, dass wir nicht über Kanäle, sondern über die Inhalte von Politik reden.

Die wichtigsten Wahlen zur Positionierung einer Partei sind die Bundestagswahlen.

wahl.de:
Dann reden wir doch mal darüber, wie sie zu ihren Inhalten kommen. Wir hatten letzte Woche eine Übersicht zu den Wahlkampfkosten gemacht: Sie geben weniger als die Hälfte gegenüber der Bundestagswahl aus. Man hat gesehen, dass die Verringerung des Budgets sich schon im Programm bemerkbar gemacht hat. Im Bundestagswahlkampf hat die SPD eine große Kampagne rund um die Wahlprogrammerstellung gemacht, beim Europawahlkampf wurde komplett darauf verzichtet. Es hat weder eine innerparteiliche Diskussion noch eine Öffnung nach außen gegeben. Hier zeigt sich doch, dass der Etat sich wirklich auch auf die Programmdiskussion und die Instrumente ausgewirkt hat. Wieso lief das so?    

Matthias Machnig:
Das hat mit dem Etat nichts zu tun. Entscheidend waren zeitliche Gründe, dass wir beim Europaprogramm einen anderen Weg wählen mussten. Zur Erinnerung: Im September war die Bundestagswahl, daran schlossen sich die Koalitionsverhandlungen an und danach hat die SPD einen Mitgliederentscheid durchgeführt. Das heißt, es gab gar keine Zeit, einen Prozess vorzuschalten, in dem breit innerparteilich über die Frage eines europäischen Wahlprogramms diskutiert werden hätte können. Zudem ist nicht neu, dass Parteien zur Europawahl weniger ausgeben als zur Bundestagswahl. Parteien haben begrenzte Ressourcen und die wichtigsten Wahlen zur Positionierung einer Partei sind die Bundestagswahlen.

Wir müssen es schaffen, die Wahlbeteiligung auf über 50% zu erhöhen.

wahl.de:
Ein innerparteilicher Mobilisierungseffekt wurde damit jedoch verschenkt.

Matthias Machnig:
Das stimmt nicht. Wir sind innerparteilich gut mobilisiert. Ich kenne die Europawahl-Kampagnen seit Ende der 1970er-Jahre und das ist – mit Ausnahme der ersten Europawahl 1979 – die Kampagne, in der wir am stärksten mobilisiert haben. Das hat sehr viel mit der Person Martin Schulz zu tun, der einfach eine hohe Überzeugungs- und Identifikationskraft in der SPD hat. Es ist schwer, den gleichen Grad an medialer Öffentlichkeit und Interesse zu erreichen wie zu einer Bundestagswahl. Das sollte auch nicht die Messlatte sein und von daher ist meine Messlatte folgende: Wir müssen es schaffen, die Wahlbeteiligung im Vergleich zu 2009 auf über 50% zu erhöhen und das Wahlergebnis der SPD zu verbessern. Das sind die wichtigsten Zielkriterien. 

wahl.de:
Meinen Sie damit das Ergebnis der SPD in der Europawahl 2009 oder bei der letzten Bundestagswahl?

Matthias Machnig:
Möglichst beide Ergebnisse sollen übertroffen werden.

Die wichtigsten Medien im Jahre 2014 sind TV, Printmedien, Radio und das Plakat. Erst danach kommt das Internet. 

wahl.de:
Welchen Stellenwert geben Sie persönlich Social Media im Wahlkampf?

Matthias Machnig:
Sie sind natürlich ein wichtiges Instrument und je nach Wählergruppe spielen sie eine äußerst wichtige Rolle. Dennoch bleiben die wichtigsten Medien im Jahre 2014 TV, Printmedien, Radio und das Plakat. Erst danach kommt das Internet. Ob das in fünf Jahren noch so ist, kann ich Ihnen nicht sagen, aber Stand heute ist das die Realität. Die neuen Medien sind aber ein wichtiges Instrument, um bestimmte Zielgruppen zu erreichen.      

wahl.de:
Um den Twitter Account von Martin Schulz gab es einigen Trubel, da er seinen Account erst als Parlamentspräsident genutzt hat und dann auch für den Wahlkampf. Was würden Sie Politikern aus heutiger Sicht raten? Wie ist der richtige Umgang mit solchen Profilen?

Matthias Machnig:
Martin Schulz hat das sauber getrennt. In der Sekunde, in der er Spitzenkandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten wurde, twitterte er nicht mehr als Parlamentspräsident. Mehr kann man meiner Meinung nach nicht tun.

wahl.de:
Am Anfang des Wahlkampfes hatte sich ja sowohl in den Medien als auch aus Reihen der SPD viel Kritik an dem Merkelplakat entzündet. Nun plakatiert Ihre Partei ja seit Beginn dieser Woche in einer letzten Welle mit Frank-Walter Steinmeier. Wie kam es dazu?

Matthias Machnig:
Das ist nicht vergleichbar. Im Zentrum unseres Wahlkampfes steht Martin Schulz, der auf 15.000 Großflächen in Deutschland zu sehen ist. Das Plakat, von dem Sie sprechen, zeigt Martin Schulz und Frank-Walter Steinmeier und hat die Auflage eins.  Kennen Sie ein Plakat mit Merkel und Juncker? Nein. Unser Plakat rückt das Friedensthema in den Vordergrund und macht deutlich, dass die SPD eine große friedenspolitische Geschichte hat. Frank-Walter Steinmeier gehört zu denjenigen, die in der Ukrainekrise das Thema Dialog, Verständigung, Interessenausgleich immer wieder in den Vordergrund gerückt haben. Darüber hinaus gehört er zu den populärsten Politikern Deutschlands und es ist von daher selbstverständlich, dieses Friedenssignal auch mit ihm zu verbinden. Dennoch steht Martin Schulz auch in den Schlussanzeigen unseres Wahlkampfs im Zentrum, weil die Bürgerinnen und Bürger am Ende des Tages eines wissen wollen: Wer wird neuer Kommissionspräsident? Das ist die entscheidende Frage, die am 25. Mai zu beantworten ist.  

wahl.de:
In der Woche davor hatte die SPD ein Plakat vorgestellt, wo Sie nach dem Spitzenkandidaten der CDU fragen. Hatte dieses Plakat auch die Auflage eins?

Matthias Machnig:
Ja, in der Tat. Auch dieses Plakat hatte die Auflage eins. 

Wo ist denn Herr Juncker?

wahl.de:
Die Frage wäre nun natürlich, welchen Wähler das überzeugen soll? Oder ist das eher als Provokation gedacht?

Matthias Machnig:
Zunächst einmal ist die Frage sehr ernst gemeint und absolut berechtigt: Wo ist denn Herr Juncker? Man sieht ihn nicht und das muss Gründe haben. Stattdessen plakatiert die Union Frau Merkel, die aber gar nicht zur Wahl steht. Ich kenne weltweit keinen Wahlkampf, wo der Spitzenkandidat nicht im Zentrum der kommunikativen Maßnahmen steht. Darauf haben wir aufmerksam gemacht und diese Frage wird zunehmend auch von Medienvertretern gestellt. Das zeigt, dass unsere Strategie die richtige ist, denn in der Direktwahlfrage liegt Martin Schulz inzwischen fast 20 Punkte vor Herrn Juncker. 

wahl.de:
Im TV-Duell hat Martin Schulz einen Vorstoß gemacht und religiöse Neutralität in öffentlichen Räumen zu einem Belang der EU erklärt. War es klug der Union diese Art von Munition in die Hand zu geben?   

Matthias Machnig:
Ich muss sagen, dass ich die Reaktion der Union mit einiger Belustigung verfolgt habe. Das sind hilflose Scheingefechte, die jeglicher Grundlage entbehren. 

wahl.de:
Der ehemalige SPD Wahlkämpfer Frank Stauss von der Agentur butter hat letzte Woche in einem Blogbeitrag die Wahlkämpfer für ihre Kritik an der EU  beschimpft: “Fuck you Gurkentruppe”:  Er sagt, es würde nur gemosert und gejammert, kritisiert und geheult. Damit zielt er eindeutig auf ihren Zweiklang, wie er auch ähnlich bei FDP, CSU und CDU zu hören ist:  Die negative Zustandsbeschreibung der EU. Können Sie diese Kritik teilen?    

Matthias Machnig:
Ich kenne und schätze Frank Stauss. Doch ich muss sagen, dass es immer leicht ist, Kritik zu üben, wenn man nicht verantwortlich für eine Kampagne ist.  Unser Konzept liegt klar auf der Hand: Wir sind eine klar proeuropäische Partei und wir wollen Europa an den entscheidenden Stellen verbessern. Und ich glaube, es ist eine Gefahr, Europa zu immunisieren, auch gegenüber notwendigen Reformmaßnahmen. Ein Beispiel könnte hierbei das Schaffen von mehr Transparenz und Demokratie in Europa sein. Es geht um den Weg, den wir in den nächsten fünf Jahren in Europa gehen müssen, um die europäische Idee den Menschen wieder deutlicher zu machen. Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt und so müssen wir klarmachen, wofür die Europäische Union steht. 

Wenn irgendjemand eine europäische Kampagne durchgeführt hat, dann waren es die SPD!

wahl.de:
Die European Greens haben als einzige europäische Parteienfamilie den Versuch einer europaweiten Kampagne gefahren. Sollte das nicht die Zukunft von europäischen Wahlkämpfen sein?

Matthias Machnig:
In diesem Punkt möchte ich Ihnen widersprechen. Wenn irgendjemand eine europäische Kampagne durchgeführt hat, dann waren es die SPD und die PES. Ich weiß nicht wie oft Ska Keller europaweit aufgetreten ist. Aber ich kann Ihnen sagen, dass Martin Schulz in Bulgarien vor 20.000, in Polen vor 20.000, in Rumänien vor 15.000 und in Spanien vor 5.000 Menschen gesprochen hat. Die Zeitung “La Repubblica” aus Italien wird einen Aufruf zur Wahl von Martin Schulz starten. Wir haben Broschüren und Plakate von und mit Martin Schulz in sieben Sprachen veröffentlicht. Wenn irgendwer europaweit als Spitzenkandidat präsent war, dann war und ist es Martin Schulz. Natürlich gibt es immer Schwerpunktthemen, die in den einzelnen Ländern gesetzt werden. Ich denke, in diesem Punkt sind wir anderen Parteien weit voraus. Es gab eine gute Koordination zwischen 28 sozialdemokratischen Parteien, die sich auf ein gemeinsames Europa-Manifest geeinigt haben. 

Ich hatte andere Pläne. 

wahl.de:
Hätten Sie sich selbst vor eine ¾ Jahr gedacht, auf diesem Stuhl zu sitzen und noch einmal für die SPD in einem Wahlkampf als Kampagnenmanager verantwortlich zu sein? 

Matthias Machnig:
Nein, ich hatte andere Pläne. Ich kann aber sagen, dass es mir viel Freude bereitet als Kampangenmanager für den Wahlkampf von Martin Schulz verantwortlich zu sein. Die Zusammenarbeit mit Martin Schulz ist hochprofessionell, sehr angenehm und motivierend. Ich denke, dass man das auch im Wahlkampf sehen kann, dass wir hervorragend zusammenarbeiten und gewinnen wollen. Das, was uns letztlich eint, ist das Streben nach Erfolg für die SPD.    

wahl.de:
Wie sieht ihre persönliche Planung nach Sonntag aus?

Matthias Machnig:
Jetzt konzentriere ich mich auf Sonntag. Alles andere wird sich zeigen. 

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Sebastian Schmidtsdorf

Sebastian Schmidtsdorf

Head of PR bei Civey
Bei wahl.de seit 2013. Mitherausgeber wahl.de-Buch #BTW13 Themen, Tools und Wahlkampf. Leiter Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit bei Civey. Leidenschaftliche "fragerei by dorfgeschrei".
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