wahl.de spricht mit den Kampagnenverantwortlichen der Parteien über ihre Strategien zur Europawahl. Was haben sie im Netz geplant, wie präsentieren sie ihre Kandidaten und wie arbeiten sie mit den Parteien auf europäischer Ebene zusammen? Nach Robert Heinrich von den Grünen, Matthias Höhn von DIE LINKE, Oliver Röseler von der CDU und Christophe Chan Hin, Kampagnenleiter der Piratenpartei, haben wir nun mit Nicola Beer, Generalsekretärin der FDP, gesprochen.

Nicola Beer mit dem Spitzenkandidaten Alexander Graf Lambsdorff bei der Vorstellung ihrer Europakampagne

Herzblut für meine liberale Partei

wahl.de:
Frau Beer, Sie sind ja noch verhältnismäßig frisch im Amt. Was treibt Sie in ihrem Job eigentlich an?

Nicola Beer:
Ich würde es Herzblut nennen. Zum einen dafür, dass der Mensch im Mittelpunkt der Politik steht und zum anderen für den liberalen Gedanken von Freiheit und Verantwortung. Und letztendlich natürlich Herzblut für meine liberale Partei.

Wir wollen alle Kanäle der direkten Kommunikation nutzen

wahl.de:
Nach der jüngsten Bundestagswahl gab es für Ihre Partei die unglückliche Situation, dass sie nicht mehr im Bundestag vertreten sind. Was ist denn für Sie als Generalsekretärin das Rezept für die Zukunft der FDP?

Nicola Beer:
Wir wollen wieder stärker deutlich machen, dass nur bei uns der Mensch im Mittelpunkt steht. Im Gegensatz zu allen anderen politischen Mitbewerbern haben wir ein Menschenbild, dass dem Menschen etwas zutraut und auf den Menschen vertraut. Wir sehen den Menschen nicht als Gefahr für die Gesellschaft, der diszipliniert, reglementiert und bevormundet werden müsste. Stattdessen geht es uns darum, Menschen zu stärken, was auch bedeutet, dass wir auf einen Dialog mit Menschen in allen Bereichen setzen. Dafür wollen wir alle Kanäle der direkten Kommunikation nutzen, also sowohl persönliche Gespräche als auch die sozialen Netzwerke. So können wir die Meinungen der Menschen aufnehmen und ihnen zeigen, dass die FDP für ihre Fragen Lösungen bereithält.

wahl.de:
Was soll Ihre Kampagne ausmachen? Wie wollen Sie die Menschen überzeugen an die Urne zu gehen und am 25. Mai das Kreuz bei der FDP zu machen?

Nicola Beer:
Uns geht es darum zu zeigen, dass wir unser Europa selbst gestalten. Das heißt, dass wir gemeinsam, aber auch jeder einzelne Bürger, Einfluss darauf haben, wie unser Europa aussieht. Das spiegelt sich in unserem Claim wider, der lautet „Das braucht unser Europa“. Das ist nicht nur als Mobilisierungskampagne und klares Bekenntnis zu Europa zu verstehen, sondern beinhaltet auch unsere Vorschläge für ein besseres Europa: weniger Bürokratie, mehr Wettbewerb, solide Finanzen und mehr Datenschutz.

wahl.de:
Bei vielen Parteien ist in diesem Europawahlkampf ein Zweiklang zwischen Kritik und Verbesserungsvorschlägen zu vernehmen. So lässt sich auf den Plakaten kaum ein Unterschied zwischen den einzelnen Claims erkennen. Ist das Zufall oder aber eine Schwäche der Kampagnen?

Nicola Beer:
Ich finde, dass die Unterschiede sehr wohl zu erkennen sind. Wir sind klar für Europa, zeigen aber auch Fehlentwicklungen auf, die sich abzeichnen, zum Beispiel unsolide Haushaltsführung. Wenn sich die Mitgliedstaaten in dieser Frage am schlechten Vorbild Deutschlands orientiert würden, wäre das eine Katastrophe. Europa ist für uns positiv, ohne dabei euroromantisch oder euroskeptisch zu sein. Stattdessen sind wir eurorealistisch, wie wir es als Partei auch schon immer gewesen sind. Das Motto ist dabei „Chancen für jeden statt Regeln für alles.“ Das Thema Chancen haben wir dabei immer als Kern unserer Position verstanden. Wenn andere Parteien das aufgreifen, müssten Sie die fragen, warum sie nun versuchen, diesen Begriff der FDP zu entlehnen.

Wir müssen aufpassen, dass das Europäische Parlament nicht zersplittert

wahl.de:
Sehen Sie den Wegfall der 3%-Hürde als Chance für Ihre Partei und wen würden Sie als die direkten Mitbewerber der FDP ansehen?

Nicola Beer:
Zunächst einmal sind wir der Meinung, dass man auch auf der europäischen Ebene aufpassen muss, dass das Parlament nicht zersplittert, weshalb wir grundsätzlich Hürden befürworten. Für uns geht es jedoch bei der Europawahl darum, Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen, wobei sich das nicht auf eine Partei beschränken lässt. Wir haben weit mehr Wähler an CDU, SPD und an die Nichtwähler verloren als an die AfD. Wir werben für FDP pur. Und all diejenigen, die unter der Großen Koalition Fehlentwicklungen in Deutschland sehen und das Gefühl haben, dass sich das auf der europäischen Ebene fortsetzen könnte, müssen jetzt FDP wählen.

wahl.de:
Was muss denn im Europawahlkampf vom Kampagnenmanagement und den Wahlkampfmitteln oder -instrumenten anders laufen als im Bundestagswahlkampf 2013?

Nicola Beer:
Dadurch, dass ich 2013 noch nicht in der jetzigen Position tätig war, kann ich mich nur zur aktuellen Kampagne der FDP äußern. Der Europawahlkampf ist natürlich für uns eine neue Herausforderung, für die wir eine professionelle, bundesweite Kampagne auf die Beine gestellt haben, die von den Untergliederungen sehr engagiert getragen wird. Unser Wahlkampf ist klar proeuropäisch und unterscheidet sich deutlich von dem der anderen Parteien, da wir weder unseren Spitzenkandidaten verstecken noch mit Personen werben, die gar nicht zu wählen sind. Wir stellen stattdessen unseren Spitzenkandidaten Alexander Graf Lambsdorff nach vorne, der mit klaren Aussagen zu den bedeutenden Themen wie Bürokratieabbau, mehr Wettbewerb, solide Finanzen und Datenschutz verknüpft wird.

wahl.de:
Letzte Woche ging der Web-Auftritt für die Europawahl online. Sind darüber hinaus noch weitere Wahlkampfinstrumente oder -maßnahmen im Internet geplant?

Nicola Beer:
Ja, durchaus. So gibt es beispielsweise den TV-Spot, der in einer Online-Version existiert, und wir werden jede Woche neue Grafiken für die sozialen Netzwerke anbieten, die dann entsprechend geteilt werden können. Wir haben jenseits unserer Kampagnenhomepage eine sehr aktive Nutzung unserer Plattform www.meine-freiheit.de, auf der täglich Argumente, Grafiken und Aktionsvorschläge ausgetauscht werden.

wahl.de:
Nur um mal das Ausmaß einschätzen zu können: Wie viele Mitglieder hat diese Plattform in etwa?

Nicola Beer:
Es sind über 6.000 aktive Nutzer.

wahl.de:
Ist es ansonsten geplant Online-Werbungen, etwa über Google oder Facebook, zu nutzen?

Nicola Beer:
Es gibt sowohl Werbungen durch die Abgeordneten und Kandidaten als auch eine zentrale gesteuerte FDP-Werbung.

wahl.de:
Erfolgt eine Verzahnung mit einer europäischen Dachkampagne, wie man sie bei den Grünen in diesem Europawahlkampf sehen kann?

Nicola Beer:
Nein. Wir haben uns entschieden, eine Verzahnung der Kampagne mit den Kommunalwahlen, die ebenfalls am 25. Mai stattfinden, vorzunehmen.

wahl.de:
Gibt es denn Auftritte von und mit den europäischen Spitzenkandidaten in Deutschland?

Nicola Beer:
Ja, es hat bereits eine Reihe von Auftritten der liberalen Spitzenkandidaten Olli Rehn und Guy Verhofstadt gegeben.

wahl.de:
Sie hatten gesagt, dass Sie im Wahlkampf auch auf Direktmarketing zurückgreifen wollen. Handelt es sich dabei um Mailing oder meinen Sie Briefsendungen und wer sind die Adressaten?

Nicola Beer:
Ziel sind eine Mio. Postkarten, die an FDP-affine Bürgerinnen und Bürgern versendet werden.

Wir konnten seit der Bundestagswahl über 3.500 Neumitglieder gewinnen

wahl.de:
Eine Frage abseits der Europawahl: Wie sieht denn eigentlich die Mitgliederentwicklung bei der FDP seit der Bundestagswahl aus? Und sind im Falle eines negativen Trends Werbeaktionen für neue Mitglieder geplant?

Nicola Beer:
Die Mitgliederentwicklung ist bei uns ausgesprochen positiv, sodass wir seit der Bundestagswahl über 3.500 Neumitglieder gewinnen konnten, die sehr aktiv eingestiegen sind und sich in den Wahlkampf einbringen. Ferner haben wir das Veranstaltungsformat fdp@home entwickelt, bei dem Neumitglieder Menschen aus ihrem Bekannten-, Freundes- und Arbeitskollegenkreis einladen und dann zu Hause mit einem Mitglied der Parteiführung ins Gespräch kommen. Davon hat es bereits über 80 Veranstaltungen gegeben. Mit diesem Format gelingt es uns, immer wieder neue Mitglieder zu gewinnen. Nach der Wahl wird es darüber hinaus noch eine Mitgliederwerbeaktion geben, da die Vergangenheit gezeigt hat, dass wir die höchsten Eintrittswellen unmittelbar nach Wahlterminen verzeichnen konnten.

Nicola Beer ist seit Dezember 2013 Generalsekretärin der FDP. Die Rechtsanwältin und Mutter von Zwillingen wurde bei jeder Landtagswahl seit 1999 in den Hessischen Landtag gewählt. 2009 verzichtete sie auf ihr Mandat, um Staatssekretärin für Europaangelegenheiten im Hessischen Ministerium der Justiz, für Integration und Europa zu werden. Im Anschluss daran war sie von 2012 bis Anfang 2014 hessische Kultusministerin.

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Sebastian Schmidtsdorf

Sebastian Schmidtsdorf

Head of PR bei Civey
Bei wahl.de seit 2013. Mitherausgeber wahl.de-Buch #BTW13 Themen, Tools und Wahlkampf. Leiter Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit bei Civey. Leidenschaftliche "fragerei by dorfgeschrei".
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