Nur noch etwas mehr als ein Monat ist es bis zur Europawahl. Der Wahlkampf ist in vollem Gange, könnte man glauben. Nunja, so sehr ein Europa-Wahlkampf in Deutschland jemals in vollem Gange ist. Welche Bedeutung die Parteien der Europawahl beimessen, lässt sich recht gut an ihren Internetseiten ablesen. Hier braucht es nicht unglaublich viel Geld, um umfassend zu informieren, auch der Platz kann nicht ausgehen: Hier kann man zeigen, was man zeigen will.

Ich habe mir die Internetseiten der großen deutschen Parteien angesehen, zuerst also der bereits im Europaparlament vertretenen Fraktionen von CDU, SPD, Grünen, FDP und Der Linken. In allen letzten Umfragen lag außerdem die Alternative für Deutschland über der Sperrklausel, also habe ich auch die AfD mit aufgenommen. Und als Kontrastprogramm soll auch die Piratenpartei als stark online-fokussierte Wahlkämpfer etwas Aufmerksamkeit bekommen.

Was erwarte ich auf den Internetseiten? In den "Pflichtübungen" geht es um simple Fakten: Europawahlprogramm und Vorstellung der Kandidatenliste. Wie leicht lässt sich das auffinden? Wie umfangreich sind die Informationen aufbereitet? Gibt es beispielsweise nur PDFs, oder wurde das Programm herunter gebrochen, verständlich gemacht und in verschiedenen Formaten angeboten?

Die "Kür" ist eine offene Rubrik, die die Pflichtübungen ergänzen kann. Gibt es Material aus der Kampagne, wird zu Spenden aufgerufen oder gibt es gar etwas richtig Spannendes? Wahlkampf ist auch auf der Straße nicht nur Programm-Broschüre und Kandidatenliste. Was also sehen wir zur Europawahl 2014 im Internet?

CDU

Auf der Startseite von CDU.de spielt die Europawahl keine große Rolle, ist aber über ein Banner sofort zu erreichen. "Materialien zur Europawahl" heißt es auf der Grafik und damit ist auch schon gesagt, was die Besucher der Seite erwartet: Hauptsächlich verlinkte PDFs. Es gibt Flugblätter, Argumentationspapiere und den 83-seitigen Europa-Beschluss des letzten Parteitages. Auch die Plakate gibt es zum Download, hier über die CDU Bilddatenbank.

 Screenshot: www.cdu.de 

Zum deutschen CDU-Spitzenkandidaten David McAllister reicht es nur für ein Foto und 4 Links. Eine Liste aller CDU-Kandidaten findet man nur als etwas versteckten Link auf eine, na klar, PDF. Interessant: CDUtv hat einen einstündigen Video-Chat mit McAllister und dem Generalsekretär Peter Tauber veranstaltet. Anfang März antworteten die beiden auf von den Nutzern eingereichte Fragen, die vorher per E-Mail, Facebook und Twitter eingesammelt wurden.

SPD

Bei der SPD bestimmt die Europawahl mittlerweile ziemlich weitgehend die Startseite. Noch vor 1-2 Wochen ging es hier vor allem um die 100-Tage-Bilanz der Bundesregierung, jetzt sind Bildbühne und Banner ganz auf Europa eingestellt.

 

Screenshot: www.spd.de

Die Kandidaten werden sauber aufgelistet, aber nur zum Spitzenkandidaten Martin Schulz gibt es ausführliche Infos – sonst müssen ein Foto, ein kurzer Beschreibungstext und ein Link zur persönlichen Website reichen. Apropos persönliche Website: Die Kandidatenseite von Martin Schulz gehört zu den echten Highlights dieses Online-Wahlkampfes: Große Bilder, Videos, eine persönliche Ansprache des Kandidaten – und das auch noch in mehreren Sprachen. Wie gut die Seite ist, sieht man nach einem schnellen Vergleich mit mcallister.de. Weiter auf SPD.de finden sich noch die üblichen Plakate, PDFs des Wahlprogramms und erfreulicherweise auch ein Wahlprogramm in klarer Sprache. Mehr hat auch die SPD auf der eigenen Website bisher nicht im Angebot.

Bündnis 90/Die Grünen

Auf gruene.de findet man die Europawahl sehr leicht, gleich der erste Menüpunkt weist in fettem Schriftschnitt darauf hin.

 

Screenshot: www.gruene.de

Auch wenn die Startseite selbst noch wenig nach Europa aussieht, die Grünen bieten die umfassendsten Informationen zur Wahl an: Das Wahlprogramm gibt es zwar nicht im Volltext, aber als PDF und auch in leichter Sprache. Und ganz besonders: Man kann sich das Wahlprogramm auch vorlesen lassen, als MP3 zum Download oder für den mir bis dato unbekannten DAISY-Player. Die Kandidaten werden bis Platz 14 ausführlich mit Text, Foto und Wahlergebnis vorgestellt und durch die Plakate der Kampagne kann man sich durchklicken.

Wie schon gewohnt rufen die Grünen auch am deutlichsten zu Plakatspenden für den Wahlkampf auf. Was bei anderen Parteien eher in den internen Netzwerken stattfindet, hat für die Grünen einen hohen Stellenwert.

Ebenfalls schon ein bekannter Teil Grüner Kampagnen ist "3 Tage Wach". Auch zur Europawahl können ab 22. Mai 72 Stunden lang live Fragen zur Grünen Europapolitik gestellt werden. Das Ereignis wird wie gehabt live gestreamt.

FDP

Die Freidemokraten zeigen auf ihrer Internetseite nahezu rundum, was deutsche Parteien im Internet falsch machen. Komplizierte Bedienungsstrukturen, mühsam überdeckt durch große Bilder. Infos zur Europawahl sind nur schwer aufzufinden, immer wieder tauchen vereinzelte Links auf, aber eine leicht zu erreichende und umfassende Übersichtsseite ist nicht zu entdecken. Über das Menü kommt man zum Wahlprogramm, das immerhin in einige leicht verständliche Punkte heruntergebrochen wurde und als komplette PDF zum Download steht.

 

Screenshot: www.fdp.de

Unter dem Thema "Wahlen" dagegen gähnende Leere – von einer Europawahl hat jedenfalls dieser Bereich von fdp.de noch nichts gehört. Auch über die Suche findet sich keine Liste der Kandidaten – nur einen Verweis zum Spitzenkandidaten Alexander Graf Lambsdorff lässt sich auftun. Dessen Interneseite übrigens passt völlig ins Bild: lambsdorffdirekt.de.

Die Linke

die-linke.de ist schon durch ihre Domain eine Besonderheit im deutschen politischen Internet: linke.de, linkspartei.de, dielinke.de – all diese logischen Domains gibt es nicht. Nur die-linke.de führt zum gewünschten Ziel. Und auch die Gestaltung der Seite wirkt von Jahr zu Jahr anachronistischer.

Screenshot: www.die-linke.de

Aber davon darf man sich nicht täuschen lassen, denn hat man sich einmal zur Europwahl durchgeklickt – dabei helfen keine Banner oder Bilder, sondern ein Klick auf den Menüpunkt "Wahlen", dann warten zahlreiche ausführliche Infos auf die Interessenten.

Die Kandidaten werden bis auf einige Ausnahmen ausführlich dargestellt und das Wahlprogramm ist im Volltext sowohl in der Lang- als auch in einer Kurzfassung verfügbar. Für die Kampagnen-Designer ist das manchmal schwer zu ertragen, aber für Suchmaschinen und Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen schlägt HTML-Text jede PDF. Im Downloadbereich gibt es natürlich auch noch PDFs des Wahlprogramms, ergänzt durch weitere Sprachen und – nette Sache – als eBook-Dateien und MP3s. Sogar eine Braille-Datei für Blinde gibt es.

Alternative für Deutschland

afd.de heißt sie nicht, die Internetseite der Alternative für Deutschland. Stattdessen lautet die Domain alternativefuer.de – Erinnerungen an bullypara.de werden wach.

Screenshot: www.alternativefuer.de

Bei der AfD sieht man, das wenig Geld da war. Die Website ist kein Hochglanzmagazin wie fdp.de, sie versprüht noch einen gewissen hemdsärmeligen Charme. Aber warum auch nicht? Die Infos zur Europawahl sind gut aufzufinden, die Kandidaten immerhin mit Bild und für die ersten 6 Plätze sogar mit via Soundcloud eingebundener Rede vorgestellt. Das Programm gibt es als PDF und in 13 kleinen Argumentations-Flyern. Sogar eine Plaktspende-Aktion gibt es bei den Newcomern.

Fast alles also, was auch die großen Parteien anbieten – die Budgets möchte man da gar nicht mehr vergleichen.

Piratenpartei

Noch ein schneller Blick zu den Piraten: Machen die Online-Aficionados alles besser? Mit einem Wort: Nein.

 

Screenshot: www.piratenpartei.de

Man findet recht ausführliche Informationen zu den Kandidaten – man beachte, dass man die Namen anklicken kann – und das komplette Wahlprogramm sowie einen Einblick in die Kampagne. Mehr nicht.

Fazit

Immerhin, bis auf die FDP haben alle Parteien mehr oder weniger leicht zugänglich die grundlegenden Infos im Angebot. Schade, dass noch nicht überall Barrierefreiheit und Zugänglichkeit zum Standard gehören. Aber mehr als ein paar Links, PDFs und kurze Texte gibt es fast nirgendwo. Wo ist denn das Storytelling, von dem beispielsweise Robert Heinrich von den Grünen noch hier im Blog sprach? Europa ist ein komplexes Thema, für das sich viele Wähler nicht interessieren. Wenn man dann schon einmal das Glück hat, die Bürger auf die eigene Internetseite zu ziehen, dann muss ihnen einfach mehr geboten werden. Wie die Grünen Wahlziele in 2 Minuten zur letzten Bundestagswahl zum Beispiel oder interessante Erklär-Videos. Es muss ja auch nicht immer Multimedia sein, gut geschriebene, knapp formulierte Texte mit erklärenden Bildern wären schonmal ein Anfang.

Und so wundert es nicht, dass bis auf die SPD keine Partei ihre Startseite wirklich auf den Europawahlkampf trimmt. Die Europawahl 2014 auf den Internetseiten der deutschen Parteien ist zu finden, wenn man denn wirklich will. Ein Wahlkampf, der seinen Namen verdient, sieht auch online anders aus. Wo auch immer die Kampagnen-Etats eigensetzt wurden, Online läuft die Europawahl nur so nebenbei.

Update 9. Mai 2014 

Inzwischen sind es nur noch etwas mehr als 2 Wochen vor der Wahl. Seit Ende letzter Woche sind die Grünen nun auch mit ihrem „Storytelling“-Special online. Wie schon zur Bundestagswahl wollen sie ihr Wahlprogramm in „2 Minuten“ erklären. Die Idee ist nach wie vor großartig, die Umsetzung zur Europawahl aber etwas mau. Auch die FDP hat mittlerweile mit einer Micro-Site zum Thema Europawahl nachgezogen, auf die direkt von fdp.de geleitet wird. Die Seite listet Kandidaten, Programm und beleuchtet einige Positionen genauer. Nichts großartiges, aber immerhin. Beide können aber am Fazit nicht viel ändern: eben nebenbei.

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Christian Jung

Christian Jung

Christian Jung ist Geschäftsführer der Antwortzeit Kommunikationsagentur, die u.a. den Webauftritt der Grünen in Hessen betreut. Außerdem betreibt er gemeinsam mit Malte Krohn das politische Weblog homopoliticus.de und ist Mitbegründer der KampagnenPraxis.
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