Die Air Force One hat am Mittwochabend Berlin verlassen, Medien und Wähler sind noch fasziniert vom Obama-Besuch und den Bildern. Scharfsinnige Kommentatoren sprechen nach der Rede vor dem Brandenburger Tor von einer Wahlkampfhilfe für Kanzlerin Merkel. Gefolgt von der Aussage, der deutsche Wahlkampf sei eh zunehmend amerikanisch.

Bildquelle: © 2013 Tobias Koch www.tokography.com

Seit den Zeiten Willy Brandts, des ‚Kennedy von der Spree‘ lesen wir es alle vier Jahre wieder: Unser Wahlkampf sei (zu) amerikanisiert, drehe sich um Spitzenkandidaten, sei inhaltsleer. Kurzum, es wird angeblich alles immer oberflächlicher. Wird Politik zu Wahlkampfzeiten in Deutschland maßgeschneidert inszeniert, funktioniert der deutsche Wahlkampf wie ein Obama-Auftritt am Brandenburger Tor? Eher nicht.

Es werden zwar strategische Ansätze, Inszenierungsformate und Kommunikationstechnologien der amerikanischen Spin Doctors kopiert oder bestenfalls adaptiert, aber der Kern des Wahlkampfs bleibt doch „very German“, mit allen Vor- und Nachteilen.

Kanzler sind keine Präsidenten

Das deutsche politische System baut anders als das amerikanische auf stabile Parteien und der Bundestag wählt den Kanzler (oder die Kanzlerin). Auch die kommunikativen Unterschiede sind immens. Die spröde Art der Bundeskanzlerin ist das pure Gegenteil von Obama theatralischen Auftritt und dennoch die mit weitem Abstand beliebteste Politikern, die im direkten Duell ihrem SPD-Gegner Peer Steinbrück enteilt ist. Würden hierzulande amerikanische Maßstäbe der Inszenierung des Kandidaten samt Familie und Hund gelten, müsste Merkel längst in der Opposition verschwunden sein. Aber auch Peer Steinbrück gibt nicht den Obama, sondern konzentriert sich auf das solide Image der SPD und beruft sich immer wieder auf Inhalte und seine Partei, und ein „Kompetenzteam“.

Ein Mitglied ist kein Volunteer

Ein weiterer wichtiger Unterschied zu den USA zeigt sich in der Kampagnen-Organisation. Unser parlamentarisches System ist – anders als in den USA – durch Mitgliederparteien geprägt. Und diese Mitgliederbasis ist die treibende Kraft im Straßenwahlkampf, ob in der Fußgängerzone oder an der Haustür. Die Mitglieder fühlen sich vor allem den Werten und der Programmatik ihrer Partei verpflichtet. In den USA hingegen wird der Wahlkampf am Telefon und der Haustür größtenteils durch Freiwillige geführt, die keine feste Parteizugehörigkeit haben. Sie werden mit den jeweils modernsten Tools alle vier Jahre effektiv kampagnenartig rekrutiert und kämpfen für ihren Kandidaten, z.B. durch die Plattform „Organizing for Action“ – die interessanterweise ihrerseits wiederum in eine Art Parteiersatz für die Demokraten werden soll.

Amerikanisierung – warum nicht?

Ist also in Deutschland alles anders und somit gut? Mitnichten. Der Bundestagswahlkampf 2013 droht wie der 2009er-Jahrgang viele Wähler einzuschläfern. Wahlkämpfe in Deutschland brauchen mehr Leidenschaft, mehr Zuspitzung, mehr Kontroverse. Etwas, das es in Deutschland nicht im Überfluss gibt, ist der engagierte öffentliche Wettbewerb um Ideen. Da können wir durchaus von den USA lernen, nicht zuletzt weil die oben beschriebenen deutschen Strukturen langsam erodieren. Duelle wie Bush gegen Gore (2000) oder Obama gegen Romney (2012) zeigen auch, dass es im amerikanischen Wahlkampf nicht um eine künstliche Unterscheidbarkeit geht, sondern um unterschiedliche Ideen, Politiken und Persönlichkeiten, die professionell kommuniziert werden. Auch die deutschen Wähler würden einen solch professionelleren und interessanteren Wahlkampf schätzen.

Es ist also durchaus an der Zeit, mehr Amerikanisierung zu wagen.

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Christian Thams

Christian Thams

Christian Thams ist Chief Operating Officer Deutschland und Deputy Chair der EMEA Public Affairs Practice von Burson-Marsteller. Er verfügt über mehr als 15 Jahre Erfahrung in internationalen Agenturen in Berlin und Brüssel. Sein Fokus liegt auf den Bereichen Digitalisierung, Healthcare, Energie und International Affairs.