In der Welt der Meinungsforschung hat es seit nahezu 200 Jahren keine grundlegende Neuerungen mehr gegeben. Seitdem am 24. Juli 1824 die Tageszeitung „The Harrisburg Pennsylvanian“ die erste moderne Meinungsumfrage der Welt durchgeführt hat, arbeiten renommierte Institute mit der zufälligen Befragung von Bürgerinnen und Bürgern, um dem Volk aufs Maul zu schauen. Die zufällige Auswahl der Teilnehmer sorgt dafür – so die Theorie -, dass man die durchschnittliche Meinung der gesamten Bevölkerung in Erfahrung bringen kann. Befragt werden in der Regel 1000 bis 2000 Personen.

Was in der Theorie gut klingt, funktioniert in der Praxis nicht. Schließlich gibt es keine Möglichkeit, Menschen wirklich zufällig zu befragen. Viele Befragte haben schlicht keine Lust zu antworten. Oder man erreicht sie erst gar nicht, weder am Telefon, noch über das Internet. Die meisten Meinungsforscher locken deshalb unwillige Teilnehmer mit Geld- oder Sachprämien. Doch spätestens dann kann von zufälliger Auswahl wirklich keine Rede mehr sein.

Echte Zufallsstichproben gibt es gar nicht

Dass Zufallsstichproben in der Realität scheitern, lässt sich bei jeder Wahl erneut beobachten. Egal ob Unterhauswahl in Großbritannien, Präsidentenwahl in Österreich, Bundestagswahl in Deutschland oder die aktuellen Vorwahlen in den USA: Regelmäßig liegen alle Forscher daneben. Jüngstes Beispiel hierzulande ist der Erfolg der AfD, denn nicht ein Institut sah das überraschend starke Abschneiden bei den Landtagswahlen im März vorher. Führende empirische Sozialforscher, wie Professor Andreas Diekmann von der ETH Zürich, sind folgerichtig der Auffassung, dass Demoskopen nach dem “Pi mal Daumen Prinzip” arbeiten.

Sprung vom 18. ins 21. Jahrhundert

Es ist also höchste Zeit für neue Methoden in der Meinungsforschung. Kurios dabei: Die Grundsätze wurden von dem englischen Mathematiker und Pfarrer Thomas Bayes schon im 18. Jahrhundert entworfen. Aber erst die modernen Internet-Technologien, die große Datenmengen in kurzer Zeit verarbeiten können, machen Neuerungen möglich.

Die heute besonders in den USA stilprägende Bayessche Statistik eröffnet den revolutionären Weg: in Zukunft sollen Zufallsstichproben überflüssig sein. Stattdessen lässt man die Teilnehmer entscheiden, auf welche Umfragen sie Lust haben und auf welche nicht. Bindet man beispielsweise eine Umfrage in eine Webseite ein, können die Besucher selbst entscheiden, ob sie die Frage interessiert und ob sie antworten wollen. Die Meinungsforschung analysiert dann, wie stark die Antwortenden vom Durchschnitt der Bevölkerung abweichen. Zum Beispiel, weil zu viele junge Menschen mitmachen oder zu viele Konservative oder zu wenige Singles. Diese Verzerrung wird dann durch die Methoden der Bayesschen Statistik korrigiert und hochgerechnet, wie sich der Durchschnitt der Bevölkerung entschieden hätte.

Ein solches Vorgehen hat den großen Vorteil, dass Teilnehmer, die selbst auswählen, welche Umfrage sie interessiert, viel motivierter sind, Antworten abzugeben. Mit anderen Worten: mehr Menschen machen regelmäßig mit. Und das wiederum macht es für die Meinungsforscher einfacher, Zusammenhänge zu entdecken und Verzerrungen zu korrigieren.

Motivation statt Bezahlung

Die Motivation der Teilnehmer ist also der Schlüssel für eine bessere Meinungsforschung. Man braucht die Mitarbeit der Bürgerinnen und Bürger, um die Verzerrung zu identifizieren. Dafür entwickeln wir bei Civey aktuell ein Online-Tool, das jeder kostenlos in die eigene Webseite einbinden und dort Meinungsumfragen starten kann. Unsere Datenlogik beseitigt im Hintergrund automatisch die eben beschriebenen Verzerrungen. Das Besondere ist, dass jede Person, die abstimmt, auch sofort die repräsentativen Ergebnisse der Umfrage sehen kann. Bei den etablierten Meinungsforschungsinstituten gibt’s das bisher nur gegen viel Geld. Die neue Offenheit und Transparenz, die wir hier anstreben, steigert auch die Motivation, bei einer interessanten Umfrage mitzumachen. Denn schließlich wollen auch Abstimmer gerne wissen, wie das Ergebnis ausfällt. Man muss also in Zukunft nicht mehr mehrere tausend Euro in die Erhebung einer unzuverlässigen Zufallsstichprobe investieren. Das einzige was man braucht, ist eine interessante Frage. Im Sommer ist es dann so weit: Civey wird erste kostenlose Umfragen auf dem Medienportal wahl.de starten und damit ein 200 Jahre altes Verfahren endlich zur Vergangenheit erklären.

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Gerrit Richter

Gerrit Richter

Gerrit Richter ist Founder und CEO von Civey. Wann er zum Demoskopie-Junkie geworden ist, kann er nicht mehr sagen: es muss während seiner Stationen als Politik-Leiter bei ergo Kommunikation, Consultant im Public Service von Roland Berger, als Bundestagskandidat oder schon während seiner Zeit als wissenschaftlicher Referent beim ehemaligen Finanzminister Hans Eichel passiert sein.
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